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Das zähe Ringen um Gerechtigkeit – aus der Sicht eines Richters…

 

 

Der vom UN-Sicherheitrat eingerichtete Internationale Strafgerichtshof für die Verfolgung von Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien (ICTY) hat nach 24-jähriger Tätigkeit seine Arbeit beendet. Insgesamt betrug das verhängte Strafmaß fast 1500 Jahre sowie 5 x lebenslänglich. Die wegen Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Verletzung des Kriegsrechts und der Genfer Konvention für Kriegsgefangene angeklagten Schlüsselfiguren dieses blutigen Kriegsdramas konnten – oftmals nach jahrelanger Flucht –letztendlich zur Verantwortung gezogen werden.

Trotzdem gab es auch harsche Kritik an der Tätigkeit des Tribunals – sowohl an den Kosten von rund 2,5 Milliarden $, den Urteilen oder auch endlos langen Verfahren. Viele empfanden es als Hohn, daß der vermutliche Drahtzieher hinter dem jugoslawischen Zerfall, Slobodan Milosevic, als „unschuldig“ in die Geschichte eingehen wird da er 2006 nach 4-jähriger Prozeßdauer noch vor der Urteilsverkündung   starb.

 

Wolfgang Schomburg war von 2001 bis 2008 der einzige deutsche permanente Richter des Jugoslawien Tribunals und ab 2003 auch des Ruanda Tribunals in Arusha (Tanzania). Schon seit Mitte der 80-er Jahre hatte er an dem damals utopischen Projekt eines ständigen Internationalen Strafgerichtshof mitgewirkt. Er betrachtet eigenen Worten zufolge dieses erste, nicht von Siegermächten eingerichtete Tribunal als Quantensprung auf dem Wege zu mehr Gerechtigkeit. Wenn er dennoch bei so manchem Urteil ein „ungutes“ Gefühl hatte so lag dies vor allem daran, daß den Richtern – anders als im früheren Jugoslawien oder in Deutschland und basierend auf dem anglo-amerikanischen Recht – keine kompletten Akten zur Verfügung standen. Durch die unnötige aber politisch motivierte Aufdrängung anglo-amerikanischen Rechts hatten die Richter nicht den für eine volle Wahrheitsfindung nötigen Zugang zu allen im Besitz der Staatsanwaltschaft befindlichen relevanten Beweismitteln.

 

Herr Schomburg, Tausende von mutmaßlichen Kriegsverbrechern werden auch nach dem 31.12.2017 noch in Freiheit sein – allein in Serbien bzw. der Republik Srpska in Bosnien werden rund 3000 vermutet. Haben sich diese erfolgreich einer Strafverfolgung entzogen?

 

Schomburg: Weniger bedeutende Fälle mussten auf die nationalen Gerichte verlagert werden. Verdächtige werden auch nach Schließung des Tribunals ihren Richter dort finden – vorausgesetzt es ist auch der politische Wille der jeweiligen Regierungen vorhanden.

Das funktionierte bisher insbesondere in Bosnien und Herzegowina in Sarajewo dank internationaler Hilfe sehr gut.

Für die anhängenden Berufungsverfahren – Karadzic, Mladic und Seselj – sowie Verfahren aus dem bereits geschlossenen RuandaTribunal wird es künftig einen neuen gemeinsamen „Mechanismus“ mit bereits neu gewählten Richtern „auf Abruf“ geben. Noch nicht eingesetzte Richter müssen sich allerdings erst einarbeiten und ich rechne mit mindestens 10 Jahren bis alle Verfahren endgültig beendet werden können – wobei es noch viele Unwägbarkeiten gibt.

 

Schon das angeführte Argument der Kostenersparnis durch Schließung von Tribunalen bei gleichzeitiger Eröffnung eines sog. „Mechanismus“ trägt nicht, wenn derart viele Zusatzkosten – in Arusha sogar ein neues Gebäude – anfallen. Vor allem juristisch ist ein derartiger Forumswechsel in laufenden Verfahren für die betroffenen Opfer und (z.T. mutmaßlichen) Täter höchst problematisch. Pferde im Rennen auszutauschen ist immer unsinnig. Ich halte daher die Tribunalschließungen für voreilig und kontraproduktiv. Wo der politische Sinn in dieser Aktion durch den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen liegt lässt sich nur erahnen. sie liegen jedenfalls weder im juristischen noch im Interesse der jetzt bei den Tribunalen gekündigten Menschen. Die Tribunale hätten jedes für sich permanent verschlankt werden können.

 

Angeblich insistierten die USA auf einer Schließung – vielleicht weil sie fürchteten, im Rahmen einer generellen Strafverfolgung für Kriegsverbrechen selbst für Vergehen in Afghanistan oder CIA-Konzentrationslager in zahlreichen Ländern zur Rechenschaft gezogen zu werden?

 

Schomburg: Das ist spekulativ. Im Allgemeinen wird der Druck bezüglich des ICTY primär eher Russland als „Beschützer der Serben“ zugeschrieben. Allerdings gab es wohl auch in Frankreich ein Interesse an einer Schließung des Ruanda Tribunals. Dieses hätte nach den aus anderen Verfahren gewonnenen Erkenntnissen mühelos Ermittlungen gegen Franzosen aufnehmen können – u.a.–wegen der Lieferung von einer unglaublich großen Zahl der dortigen Hauptmordwerkzeuge: Macheten, die mit staatlichen Bürgschaften auch von Franzosen an die Täter ausgeliefert wurden. Dies, als bereits feststand, dass ein Völkermord unmittelbar bevorstand. Wer in Friedenszeiten eine Tatwaffe vorsätzlich etwa an einen Raubmörder liefert wird wegen Beihilfe verurteilt …

 

Viele Täter wurden für unvorstellbare Vergehen hinter Gitter gebracht. Dennoch hatte man oft das Gefühl daß sich das Tribunal mit Abermillionen Seiten an Dokumenten mehr bemühte, detailliertes Material für Historiker zu sammeln, als die Anklagen zu konzentrieren und für eine schnelle Verurteilung zu sorgen.

 

Schomburg: Zugegeben, viele Verfahren haben unvertretbar lange gedauert. Aber man muss auch sehen, mit welchen Schwierigkeiten wir zu Beginn des Tribunals zu kämpfen hatten. Es war ein (zwar kreatives aber eben doch) Chaos wenn Richter aus den verschiedensten Staaten dieses Globus zusammenkamen und oft als frühere Diplomaten oder Akademiker aus verschiedenen Disziplinen erstmals einen Gerichtssaal von innen betraten.

Gleiches gilt für die Mitarbeiter aus über 100 Ländern. Viele, die irgendwie auch Gefangene ihres eigenen vertrauten Rechtssystems waren mussten plötzlich (warum eigentlich?) anglo-amerikanisches Recht anwenden. Kaum jemand erahnte die international rechtsvergleichend üblichen Parameter der zu verhängenden Strafen. Kurzum, ein Sprung ins kalte Wasser auch für Nichtschwimmer.

Schließlich hat erst der aus Deutschland verhandlungsfertig übernommene Fall gegen Dusko Tadic, einem Aufseher in Lagern in Prijedor, eine erste Anklage beschert. Tadic war aus jetziger Sicht nur ein kleiner Fisch – aber auf der Basis der ersten Beweise in diesem sowie den im Schneeballsystem nachfolgenden Verfahren konnte langsam eine Beweismittel-Pyramide aufgebaut werden ohne die spätere Anklagen, etwa gegen Karadzic und Mladic, damals wesentlich schwieriger wenn nicht sogar unmöglich gewesen wären.

Diese Menge an Material wird nun auch Historikern als umfangreiche Quelle zur Verfügung stehen. Diese haben jetzt die Möglichkeit ohne strafrechtliche Schranken wie etwa dem Gebot „Im Zweifel für den Angeklagten“ die friedensbringende Kraft dieser erdrückenden Erkenntnisse noch zu verstärken.

 

Der lange geäußerte Vorwurf, man hänge die Kleinen und lasse die Großen laufen, ist aus heutiger Sicht weder für Ruanda noch für Jugoslawien haltbar. Ganz im Gegenteil. Beide Schwester-Tribunale konnten zeigen, dass es möglich ist auch führende Politiker, Militärs und sonstige einflussreiche Persönlichkeiten effektiv für begangene Gräueltaten zur Verantwortung zu ziehen: wenn und solange dies politisch gewünscht ist. Für eine unabhängige internationale Justiz wird indes noch lange zu kämpfen sein.

 

Viele Angeklagte beriefen sich in ihrer Verteidigung darauf, als Befehlsempfänger von Karadzic und Mladic keine Alternative als die Vollstreckung dieser Anweisungen gehabt zu haben.

 

Schomburg: Nein, es gab durchaus die individuelle Schuld. Karadzic z.B. hatte, für ihn bisher noch nicht rechtskräftig entschieden, einen Plan A und einen Plan B entworfen, wie in Municipalities mit mehrheitlich muslimischer oder anderer, nicht-serbischer Bevölkerung zu verfahren sei. Einige politisch Verantwortliche dieser Regionen setzten diese Pläne zu 150 % um, andere hielten sich überhaupt nicht oder kaum daran – dementsprechend unterschiedlich war der Blutzoll bzw. die Zahl Deportierter. Es gab also, anders als beim einfachen Soldaten, bei den vor dem ICTY angeklagten höherrangigen Personen durchaus die freie Entscheidung welche wir als Richter bei der Frage nach Schuld oder Unschuld regelmäßig feststellen konnten. Das war nicht so sehr das Problem. Das Hauptproblem der Rechtsprechung war aus meiner Sicht das bereits angesprochene anglo-amerikanische Recht.

 

Inwiefern?

 

Schomburg: Was ich 2001 als Richter vorfand war ein Tribunal ohne eigene Polizei, Richter die keine Akten erhielten und eine Staatsanwaltschaft, der jedes Mittel recht war um einen Schuldspruch des Angeklagten zu erreichen.

Konkret: Wir erhielten zur Urteilsfindung nur jenes Material, welches uns die Staatsanwaltschaft zur Verfügung stellen wollte. Zahlreiche relevanten und auch vorliegenden Dokumente und Zeugenaussagen wurden dabei absichtlich zurückgehalten. Oft genug habe ich, wenn ich um mehr Informationen bat, den Satz gehört: Was wollen sie eigentlich – es ist unsere Aufgabe den Prozess um jeden Preis zu gewinnen. Also hielt man wichtiges Material zurück, das möglicherweise den Angeklagten auch entlastet hätte. Das führte letztlich, um ein Beispiel zu geben, dazu dass ein- und dieselbe Situation in zwei unterschiedlichen Verfahren innerhalb von 6 Monaten von identischen Richtern unterschiedlich bewertet wurden – je nachdem welche Beweise in dem jeweiligen Verfahren vorgelegt worden waren. Sicherlich kein Beitrag zur Glaubwürdigkeit des Tribunals und für diejenigen in deren Auftrag wir uns letztendlich um Wahrheitsfindung bemühen.

 

Mit vielen Angeklagten wurde ein „deal“ geschlossen wenn diese bereit waren in einem „größeren Verfahren“ als Belastungszeuge aufzutreten. Wie sehr hat Sie dies bei Ihrer Urteilsfindung belastet?

 

Schomburg: Wir wussten in reinen Strafzumessungsverfahren nie, warum eine Person nur aufgrund scheinbar willkürlich ausgewählter Anklagepunkte verfolgt wurde, wir erkannten naheliegende Taten nicht oder schwerwiegende Taten ebendieses Angeklagten kamen erst nach Rechtskraft des Urteils ans Licht – und dies, um einen für die Richter undurchsichtigen Deal zu verschleiern. Häufig hatten wir auch keine Information, warum eine Person angeklagt wurde – eine andere aber wegen eines aus unserer Sicht ähnlichen Verbrechens nicht. Als ein Zeuge in der Hauptverhandlung einmal selbst ein Verbrechen gestand und ich fragte warum die Staatsanwaltschaft keine Anklage erhebe erhielt ich zunächst keine Antwort. Erst einige Jahre später erfuhr ich zufällig, der Betroffene sei jetzt ohnehin tot – damit habe auch er seine Strafe erhalten.

Kurzum: Es ist schwierig zu begreifen, dass einerseits keine Anklagepflicht bei ausreichenden Anhaltspunkten bestand und andererseits hartnäckigst minimale Nebendelikte verfolgt wurden, welche für das Strafmaß ersichtlich nicht ins Gewicht fallen konnten.

 

Offenbar gab es nicht nur deals mit Angeklagten sondern auch mit anderen Ländern. Der dänische Richter Frederik Harhoff beschuldigte 2013 den amerikanischen Gerichtspräsidenten Theodor Meron als Handlanger politischer Interessen Washingtons und sprach von internationaler Justiz-Verschwörung. Ausschlaggebend für diesen Vorwurf waren u.a. die Freisprüche für den kroatischen Ex-General Ante Gotovina und den serbischen Generalstabschef Momcilo Perisic – beiden wurden enge Kontakte mit Washington während des Kriegs nachgesagt.

 

Schomburg: Ich bestätige sofort, dass es eine zeitlich zusammenhängende Kette von Freisprüchen – ein weiterer auch vor dem Ruanda-Tribunal – gab, die ich als außenstehender Jurist, besonders im Lichte der zu diesem Zeitpunkt schon gefestigten Rechtsprechung, nicht nachvollziehen konnte und kann. Hierin jedoch einen politischen Komplott zu sehen halte ich für sehr gewagt.

Generell gesehen waren die Strafen, die das ICTY aussprach, aber stets wesentlich milder als jene vor den nationalen Kriegsverbrechergerichten, etwa in Sarajewo. Ein Problem, das künftig mit erfahrenen Strafrichtern sicherlich leichter zu bewältigen ist. Mutmaßliche Kriegsverbrecher haben uns nahezu angefleht, vor dem ICTY und nicht im Wege der Verfahrensabgabe vor nationalen Gerichten angeklagt zu werden.

 

Die Hoffnung, eine Aufarbeitung der Kriegsereignisse würde einen Beitrag zur Versöhnung der ehemaligen Kriegsparteien leisten hat sich leider nicht erfüllt.

Das Gegenteil ist der Fall. Keines der Länder bereut die eigenen Verbrechen und verurteilte Kriegsverbrecher werden nach Absitzen einer 2/3 Strafe wie Helden in der Heimat empfangen. Auch der jetzt zu einer lebenslänglichen Haftstrafe verurteilte ehemalige serbisch-bosnische General Ratko Mladic wird von den meisten Serben wie ein Heiliger verehrt..

Ist das nicht sogar eine Aufmunterung für etwaige künftige kriegerische Auseinandersetzungen eine Haftstrafe inkauf zu nehmen um anschließend als Nationalheld gefeiert zu werden?

 

Schomburg: Nein, die Abschreckung war während vieler Prozesse deutlich im Gerichtssaal spürbar. Nahezu alle Angeklagten räumten ein, dass sie niemals damit gerechnet hatten, für ihre Taten jemals zur Rechenschaft gezogen zu werden.

Dennoch ist es für mich unerträglich, dass verurteilte Verbrecher ohne Prüfung des Einzelfalls nach Absitzen einer 2/3-Strafe quasi automatisch entlassen werden –   auch ohne gute Führung, ohne Reue und vor allem ohne Probezeit mit Auflagen. Das ist eine Tragödie und zerstört die mühsam durch die Tatrichter als angemessen ausgesprochenen Strafen und wird auch von Opferverbänden als skandalös empfunden. Verurteilte treffen so z.B. sehr bald in ihren Heimatgemeinden auf Zeugen, die gegen sie aussagten.

 

Da auch die häufig sehr (zu?) lange Untersuchungshaft nach internationalem Recht auf die Strafzeit angerechnet werden muss entsteht oft der Eindruck, die Täter säßen letztlich nur einen minimalen Teil ihrer Strafe ab. In zivilisierten Staaten ist es üblich, dass diese Personen anschließend unter Bewährungsaufsicht gestellt werden. Damit könnte auch verhindert werden dass sie sich zu Heroen aufschwingen. In diesem Zusammenhang wäre es sicher hilfreich wenn auch die EU jenen Ländern, die Kriegsverbrecher verherrlichen, ernsthaft mit Konsequenzen drohen würde. Denn solches Verhalten zeigt doch einen erheblichen Mangel an Rechtsstaats-Verständnis. Letzteres ist bekanntlich auch ein Zulassungskriterium zum EU-Rechtsraum.

 

Das UN-Tribunal für das ehemalige Jugoslawien wird geschlossen und gleichzeitig wird ein neues Tribunal unter EU-Führung für das Kosovo eröffnet – angeblich um Verbrechen der ehemaligen Befreiungsarmee des Kosovo UCK anzuklagen. Warum wurden diese Fälle nicht vor dem bisherigen Tribunal verhandelt?

 

Schomburg: Die Gründung eines Kosovo-Tribunals verstehe ich nicht und sehe darin eine Diskriminierung des Kosovo. Vermutlich war ein Gutachten des Europarates über angeblichen Organhandel ausschlaggebend. Ich wundere mich allerdings, dass die EU dabei so viel Geld für eine Sache zur Verfügung stellt, die doch ohne weiteres vom ICTY hätte verfolgt werden können.

 

Vielleicht, weil es bei den bisher vor dem ICTY verhandelten Kosovo-Prozessen fragwürdige Freisprüche gab? Zwei hochrangige angeklagte albanische Funktionäre – der jetzige Premier Ramush Haradinaj sowie der Politiker Fatmir Limaj – mußten aus Mangel an Beweisen freigesprochen werden. Die meisten Belastungs-Zeugen waren entweder ermordet oder eingeschüchtert worden.

 

Schomburg: Uns ist allen klar, dass nicht alle in die Zuständigkeit des ICTY fallenden Taten aufgegriffen wurden oder zufriedenstellend beendet werden konnten. Aber warum jetzt wieder den Kosovo einseitig aufmachen? Und ich frage mich auch wer die Entscheidung getroffen hat, dass bei diesem „kosovarischen EU-Tribunal“ der leitende erste Staatsanwalt ein Amerikaner ist. Das ganze Projekt erscheint mir ein einziger, vielfach verknoteter Widerspruch zu sein.

 

Eine Welt ohne Kriege wird es in absehbarer Zeit kaum geben. Welche Rolle sollen Kriegstribunale dabei spielen?

 

Schomburg: Ich hoffe, dass es auch in Zukunft ad-hoc-Gerichte geben wird wenn der permanente Internationale Strafgerichtshof aus welchem Grund auch immer nicht mehr weiterkommt: für Syrien, Sudan, Libyen etwa oder – zugegeben ein Traum nur – für Staaten, die Kriegsmaterial an Staaten wie Saudi Arabien liefern, obwohl es auf der Hand liegt, dass dieses Material in laufenden bewaffneten Konflikten illegal eingesetzt wird

Dazu wäre es aber dringend notwendig, dass die Vereinten Nationen Richter und Staatsanwälte schulen, damit diese bei einem neuen spontanen Gerichtshof sofort qualifiziert und einsetzbar sind. Beim Völkermord in Ruanda fehlte es an Richtern, obwohl der Aufruf zum Völkermord nicht nur durch Lt.Gen. Romeo Dallaire bereits weltweit bekannt war. Hätte man damals sofort ein ad-hoc-Gericht eingesetzt und jene, die unmittelbar und öffentlich zum Völkermord aufriefen vorher, und nicht 20 Jahre danach, verurteilt, wäre die Tragödie vielleicht zu verhindern gewesen. Man sollte die Wirkung solcher ad-hoc-Gerichte nicht unterschätzen. Auch die Verantwortlichen der Großmächte hatten wohl nicht wirklich daran geglaubt, dass die Justiz der Kriegsverbrecher-Tribunale imstande sein würde, auch höherrangige Kriegsverbrecher zur Verantwortung zu ziehen.

In diesem Sinne war der Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien ein sehr guter Anfang.

Es gibt keinen Frieden ohne Gerechtigkeit und keine Gerechtigkeit ohne Wahrheit. Doch wir alle sind aufgerufen dafür zu kämpfen.

 

 

 

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Serbien: die Wende-Demokratie

Belgrads  neue „Blockfreiheit“

Keiner pokert so erfolgreich wie er: Serbiens Präsident Aleksandar Vucic hat  Titos politisches Geschäftsmodell der Blockfreiheit neu für sich erfunden. Wo Jugoslawiens ehemaliger Staatspräsident einst zig Milliarden Dollar an Wirtschaftshilfen aus Washington und Moskau für seine Neutralität zwischen den Blöcken abkassierte navigiert Vucic derzeit nicht minder geschickt zwischen allen geopolitisch relevanten Ländern der Welt. Daß das Land seit 2012 EU-Kandidat ist hindert dessen Führung nicht daran, sich bei außenpolitischen Vorgaben Brüssels querzustellen und mit EU-Gegnern wie Rußland,  der Türkei  oder vehementen Kritikern Brüsseler Bevormundung  wie etwa  Ungarn engste Beziehungen zu pflegen. Schließlich will man auch im  Fall eines Kollabierens der europäischen Allianz auf Alternativen zurückgreifen können.
Serbiens Regierungschefin Ana Brnabic, rhetorisch EU-orientiert, bringt es auf den diplomatischen Nenner: „Auch wenn wir eines Tages der EU beitreten sollten, werde diese keine Arbeitsplätze schaffen und für unmittelbaren Wohlstand sorgen.“

 

Brüssel Vogel Strauß-Politik

Präsident Vucics Konzept geht bisher auf. Mit seiner uneingeschränkten Huldingung für die deutsche Kanzlerin Angela Merkel und dem zynischen Hinweis, er habe Rußlands Präsident Putin seltener besucht als diese minimiert er kritische Töne aus Berlin.
Offensichtlich scheut aber auch Brüssel den harten Schlagabtausch, mit welchem  es bei politischen Alleingängen anderer Länder kaum geizt.   Denn Aleksandar Vucic gilt – trotz zunehmender Kritik an seinem autoritären Führungsstil – als stabilisierender Faktor in einer Region,  in welcher nationalistische Tendenzen und rechtspopulistische Parteien schneller wachsen als der Wunsch nach Versöhnung. Seine bisherige taktische Zurückhaltung in Konfliktsituationen läßt den Westen hoffen,  die grausamen Kriegsereignisse der 90-er Jahre werden sich nicht wiederholen.

Freundschaft für Moskau – Respekt für die EU

 

Viele Politiker und Analytiker warnen indes längst die EU vor solch gefährlicher Passivität gegenüber einem EU-Kandidaten.
Österreichs Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil sieht mittlerweile einen dramatischen Einflußverlust der EU zugunsten Rußlands und der Türkei. Diese Länder würden  von der Bevölkerung, trotz Milliardenhilfen der EU für die Region, als tatsächliche Wohltäter wahrgenommen. Russophile Fanatiker  – wie Serbiens Ex-Präsident Tomislav Nikolic – verherrlichen Rußland seit Jahren als „majka“ (Mutter), Putin-Portraits hängen in Belgrad an jeder Ecke,  selbst unter der bislang westlich orientierten Jugend gewinnt Moskau angesichts der Enttäuschung über eine doppelzüngige und bürokratie-besessene  EU an Zustimmung.

Mit Rußland verbinde Serbien tiefste Freundschaft, beteuert Nikolic, …“während man mit anderen westlichen Staaten gegenseitige respektvolle Beziehungen aufbaue.“  Und wie ein Mantra wiederholen serbische Politiker die Drohung: Sollte die EU eine Beteiligung Serbiens an den Sanktionen gegen Rußland verlangen werde man gerne auf die EU-Mitgliedschaft verzichten.

Den Balkan regiert nicht Diplomatie sondern militärische Stärke

 

Dennoch wäre es falsch Serbiens Präsidenten Aleksandar Vucic emotionale Befangenheit  gegenüber Moskau zuzuschreiben. Für ihn zählt – anders als für die Russen-Schwärmer seines Kabinetts –  das Kalkül. So wie Milosevic einst seine Anhänger mit serbischem Nationalismus köderte ohne selbst Nationalist zu sein sieht Vucic im Schulterschluß mit Moskau die einzige Alternative, sich dem Druck aus Brüssel erfolgreich zu entziehen. Rußland verhinderte mit angedrohtem Veto die Anerkennung des Kosovo bei der UN als unabhängiger Staat und versichert, auch künftig kompromißlos hinter Belgrads Forderungen zu stehen. Dazu kommt, daß Serbiens Präsident das Land wieder zur  Militärmacht in der Region aufrüsten will  – mit Moskaus Hilfe und russischer Technologie.    6 ausrangierte russische MIG 29 Jagdflieger trafen kürzlich „als Geschenk Moskaus“ ein, über die Lieferung von russischen Luftabwehrraketen soll lt. Belgrader Medien verhandelt werden. In den Medien wird die  künftige Superiorität über die Nachbarn unter dem unverfänglichen Motto „niemand kann uns angreifen“ bereits enthusiastisch gefeiert.

Für Brüssel wäre es deshalb wohl an der Zeit sich zu überlegen, ob sich ein Kandidat, dessen Land unter russischem Energiemonopol steht, von russischer Technologie abhängig ist und mit den russischen Geheimdiensten eng kooperiert als vertrauenswürdiger EU-Partner anbieten kann.

Freunde – oder Wirtschaftsmäzene?

 

Moskau ist allerdings nicht der einzige Flirt Belgrads. Denn Serbiens Regierung benötigt Geld – viel Geld, um nicht eingehaltene Wahlversprechen über einen schnellen Wirtschaftsboom durch gigantische Investitionen zu kompensieren.
Die Vereinigten Arabischen Emirate gewährten Belgrad  Milliardenkredite, halten mit Etihad Airways 49 % an der serbischen Fluglinie Air Serbia und zeigen vor alllem strategisches Interesse an der serbischen Rüstungsindustrie.
Die Verschuldung Serbiens bei chinesischen Banken beläuft sich ebenfalls auf Milliardenbeträge. Belgrader Medien zufolge möchte China in Serbien Raketensysteme WS 3 A mit einer Reichweite bis zu 280 km bauen – zum Weitertransport nach Afrika und Asien.
In der Vergangenheit war Serbien häufig des Waffenschmuggels bezichtigt worden. So wurden erst im Februar serbische Waffen bei syrischen Terroristen des Islamischen Staats beschlagnahmt.  Die „eigentlich“ für Saudi-Arabien bestimmte Lieferung war „als verloren gemeldet worden.“

 

 

Erdogan, Garant für Frieden auf dem Balkan

 

Daß Serbiens Polit-Hierarchie auch vor moralischen Ohrfeigen Richtung EU nicht zurückschreckt beweist u.a. die  jüngste Liaison mit dem lt. Vucic „wichtigsten Faktor für Frieden auf dem Westbalkan“: der Türkei und seinem Präsidenten Recep Tayyip Erdogan. Vom Westen geächtet – in Belgrad geehrt, hatte sich Erdogan am 11.Oktober zu einem Staatsbesuch nach Serbien aufgemacht, begleitet von einer 185-köpfigen Wirtschaftsdelegation und der Hälfte seines Kabinetts.
Um den Warenaustausch zwischen beiden Ländern anzukubeln wurde u.a. der Bau von 2 Autobahnen vereinbart und  ein Freihandelsabkommen geschlossen welches der Türkei Zugang zum EU-Markt verschafft – dank privilegierter Exportmöglichkeiten Serbiens in die EU.
Neben wirtschaftichen Interessen dürfte Serbien allerdings auch das Ziel verfolgen, vom wachsenden Einfluß Ankaras auf Balkanländer mit hohem muslimanischen Bevölkerungsanteil wie etwa Bosnien, Mazedonien, dem Kosovo oder Albanien nicht überrollt zu werden.   Erdogan bestätigte letzte Woche Medienberichte, wonach der ehemalige bosnische Präsident Alija Izetbegovic noch auf dem Sterbebett Bosnien-Herzegowina dem türkischen Präsidenten als politischen Nachlaß anvertraut habe. Solche Schirmherrschaft werde er verantwortungsbewußt wahrnehmen. Ein Gedanke, der Belgrad kaum gefallen kann. Ob die musikalische Schlußoffensive Belgrads den Sultan vom Bosporus bewegen kann, seine künftige Balkanstrategie mit der serbischen Führung  abzustimmen, ist ungewiß. Beim abschließenden Staatsbankett wurde Erdogan jedenfalls eine besondere Ehrung zuteil: Serbiens Außenminister Ivica Dacic sang für ihn auf türkisch das Lied „Osman aga“.

 

Belgrad – ermutigendes Beispiel für die Nachbarstaaten…

 

Enttäuscht von Flüchtlingspolitik und Dauerkritik aus Brüssel scheint das serbische Insistieren auf außenpolitischer Souveränität auch den Rest der Balkanstaaten eher ermutigt als irritiert zu haben.  Außenpolitik ala  Brüsseler Doktrin war gestern.
Von Österreichs künftigem Kanzler Sebastian Kurz erhofft man sich zusätzliche Unterstützung bei einer nötigen Neudefinierung Europas.

Die EU-Sanktionen gegen Rußland sollten aufgehoben werden, sie schadeten allen, auch Slowenien.  Mit dieser Forderung überraschte unlängst selbt der sonst so EU-konforme slowenische Regierungschef Miro Cerar.
In Kroatien, ebenfalls EU-Mitglied, wurde der 3-tägige Moskau-Besuch seiner Präsidentin Kolinda Grabar-Kitarovic zum wichtigsten außenpolitischen Ereignis des Jahres gekürt.   Daß der kroatischen Präsidentin von Putin größere Ehren zugestanden wurden  als dem serbischen Präsidenten führte in Belgrad jedoch zu einem empörten Aufschrei in allen Medien. Politische Beobachter wollen darin sogar eine Drohung des Kremlchefs an Belgrad sehen, es mit dem Flirt mit der EU nicht zu übertreiben. Auch Rußland könne seine Prioritäten ändern.

 

Innenpolitische Autokratie unter dem Deckel außenpolitischer Erfolge

 

Schon zu Zeiten Milosevics war es Tradition, wachsende innenpolitische Kritik mit außenpolitischen Manövern oder Erfolgsmeldungen zu übertünchen. Geändert hat sich daran nicht viel. Denn Aleksandar Vucics Herrschaftsstil wirkt zunehmend autokratisch und nährt die Befürchtung vieler Beobachter, die neue Regierungschefin Ana Brnabic sei nur das Feigenblatt einer Quasi-Demokratie unter dem Alleinherrscher Vucic.
Internationale Organisationen klagen seit langem über Pressezensur, Ämterverteilung gemäß Parteibuch und eine desinteressierte Justiz bei der Verfolgung von Straftaten oder Korruptionsskandalen.

Dabei wirkt so mancher Versuch, mit welchem  korrumpierte Politiker ihren Reichtum begründen, wie eine dreiste Köpenickiade vom Balkan.
So behauptet Verteidigungsminister Aleksandar Vulin seit Wochen, eine Tante aus Kanada habe ihm 205 000 € für eine Luxuswohnung in Belgrad geliehen.  Da er keine Überweisung über diese Summe auf seinem Konto nachweisen konnte, verteidigte er sich ernsthaft mit einem Transfer von jeweils 9900 € bei (21) Flügen von Kanada nach Belgrad womit er die jeweiligen Zollbestimmungen bezüglich Deviseneinfuhren eingehalten habe. Die mysteriöse Tante wurde bislang nicht geortet.

 

Kriegsverbrecher: Die Tapfersten unter den Tapferen

 

Doch die Vulin-Posse ist weißgott keine Lachnummer sondern demonstriert eine Realität in welcher die Nomenklatura wie eh und je von ihrer Unantastbarkeit überzeugt ist und ihre politische Allmacht rücksichtslos ausübt.  Vor 2 Wochen ernannte der als hardliner und prorussisch bekannte Vulin  den verurteilten Kriegsverbrecher General Vladimir Lazarevic zum Professor und Lehrbeauftragten an der Militärakademie in Belgrad. Dies sei, so argumentierte Vulin, eine Wiedergutmachung für das Unrecht, welches dem General in den vergangenen Jahren wiederfahren sei. Larazevic war 2015 nach Verbüßung von 2/3 seiner 14-jährigen Haftstrafe aus dem Gefängnis entlassen worden. Jetzt soll er seine Kriegserfahrung an Kadetten und Offiziere weitergeben. Denn für Vulin sind die wegen Kriegsverbrechen verurteilten Serben die „Tapfersten unter den Tapferen“, die Nato dagegen eine Teufels-Organisation.
Der Protest der EU auf solche Verunglimpfung der Kriegsopfer beschränkte sich auf die Floskel, …“das Feiern der Taten von verurteilten Kriegsverbrechern zeige, daß eine dauerhafte Versöhnung und ein friedliches Zusammenleben nicht im Interesse aller Politiker des Landes sei.“

Vladimir Lazarevic ist bei der Verherrlichung von Kriegsverbrechern nur die Spitze des Eisbergs. Im Oktober 2016 ehrte das Parlament der Republik Srpska in Bosnien die Kriegsverbrecher Radovan Karadzic (zu 40 Jahren Freiheitsentzug verurteilt), seinen ehemaligen Parlamentspräsidenten Momcilo Krajisnik (20 Jahre Haft) und die ehemalige Vizepräsidentin Biljana Plavsic (11 Jahre Haft) mit einem Dankesschreiben für ihre „Verdienste“ am Vaterland. Krajisnik und Plavsic waren nach Absitzen ihrer 2/3 – Strafe mit Regierungsflugzeugen von Ministern abgeholt und in ihrer Heimat jubelnd empfangen worden.

 

Milosevic-Anhänger ante portas

 

Das Negieren jeder Kriegsschuld, das erneute Erstarken nationalistischer Tendenzen und die Vogel-Strauß-Politik des Westens  hat in Serbien derweil auch jene Politiker aus ihrer Deckung hervorgelockt, die sich nach dem Sturz Milosevics in die Anonymität verkrochen hatten.  Jetzt strömen sie wieder selbstbewußt in Machtpositionen um mit ihren anti-westlichen Parolen das Land in die Vergangenheit zurückzubeamen. Ob sie alle – wie der ehemalige Informationsminister im Milosevic-Regime   Aleksandar Vucic von sich behauptet – vom Saulus zum Paulus wurden und ihre Kriegsvergangenheit bereuen darf eher bezweifelt werden.
Außenminister Ivica Dacic, der die Sozialistische Partei nach der Auslieferung von Slobodan Milosevics an das Haager Kriegstribunal übernahm, anschließend mit der Demokratischen Partei  ein Regierungsbündnis einging und dann zum neuen Wahlsieger Vucic überschwenkte, ist sich sicher: Die Geschichte werde beweisen, daß Milosevic (+ 11.3.2006)  im Recht war. Dacic: „Wir, seine Anhänger,  haben politisch überlebt. Die meisten seiner Gegner haben sich dagegen selbst zerstört oder  mit ihren Parteien nicht einmal den Zensus bei den Wahlen erreicht.“
Wer anders als Verteidigungsminsiter Vulin könnte das neue Polit-Gefühl treffender auf den Punkt bringen: Die Zeit der Scham sei für Serbien definitiv vorbei.

 

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Srebrenica und die Abgründe des Westens

Geheime Diplomatie

Und wieder trauert die Welt in diesen Tagen in Erinnerung an ein Massaker, das vor genau 22 Jahren im bosnischen Srebrenica stattfand. Ein kaum zu überblickendes  Meer  von Grabsteinen mit pfählernen Mahnmahlen dicht an dicht rückt erneut die Tragödie vom 10.Juli – 18. Juli 1995 ins Gedächtnis, als rund 7000 Muslime von der serbisch-bosnischen Armee unter ihrem Kommandanten Ratko Mladic bei der Flucht aus der damaligen Enklave Srebrenica grausam abgeschlachtet wurden.
Doch nicht jeder der zahlreichen Ehrengäste, die sich in diesen Tagen vor den Opfern verneigen, wird die Dämonen der Vergangenheit – nämlich die Mitschuld der Internationalen Gemeinschaft an diesem Verbrechen – gänzlich aus seinem Gewissen löschen können. Denn Srebrenica bleibt neben dem größten Völkermord seit dem 2. Weltkrieg auch ein Mysterium, ein Abgrund an internationaler Ignoranz, Feigheit und perfider Diplomatie, die um der eigenen Interessen willen buchtäblich „über Leichen ging.“

Fakten, Dementis und Widersprüche

Hunderte von Medienberichten, Memoiren und Bücher haben seither versucht, die damaligen Ereignisse nachträglich aufzuarbeiten.
Mit zweifelhaftem Erfolg. Nicht selten wird der Leser am Ende verwirrter sein als zuvor. Schuldzuweisungen über die nicht erfolgte Nato-Luftunterstützung oder die Frage, ob westliche Geheimdienste die Massaker in Echtzeit verfolgen konnten werden wie ping-pong-Bälle zwischen den Verantwortlichen verschoben, nicht selten sind nationale Tendenzen – etwa bei Recherchen zugunsten der damals in Srebrenica stationierten holländischen Blauhelme (Unprofor)- nicht zu übersehen. Uneinigkeit besteht zudem  darüber, ob die in der Enklave eingeschlossen Muslime aufgrund fehlender militärischer Ausrüstung keine Gegenwehr leisteten, ob sie die  Flucht aus Angst ergriffen oder gar der Befehl zur widerstandslosen Aufgabe aus Sarajewo kam.  Auch die Frage, ob es erst der fehlende Widerstand der bosnischen Armee war, der den serbisch-bosnischen Generalstabschef Mladic ermutigte nicht nur die Außenbezirke sondern die gesamte Stadt einzunehmen oder der Angriff  bereits Monate vorab geplant war,spaltet die Experten.  Auch 22 Jahre nach dem Fall Srebrenicas bleiben so viele Fragen ohne Antworten.

Der deal ist perfekt

Ungeachtet mancher Widersprüche bei der  Einschätzung der Geschehnisse im Juli 1995 – in einem Punkt scheint sich wohl die Mehrzahl der mit den Hintergründen dieser Tragödie befaßten Autoren einig zu sein: Dem Angriff der serbisch-bosnischen Armee auf Srebrenica und den folgenden Massakern ging ein diplomatischer deal mit Belgrad und dessem damals uneingeschränkt herrschendem Präsidenten Slobodan Milosevic voraus (+2006 während seines Prozesses vor dem Haager Kriegstribunal). Den Großmächten war der blutige Krieg in Bosnien zwischen der muslimisch-kroatischen Armee und der bis dahin übermächtigen serbischen Armee längst entglitten. Sie verfolgten nur noch ein Ziel: eine Friedensvereinbarung um jeden Preis und dies vor Wintereinbruch. Fast das ganze Frühjahr 1995 hatten internationale Vermittler, u.a.  der US-Vertreter in der 5-köpfigen Kontaktgruppe Robert Frasure, mit Milosevic über dessen Anerkennung Bosniens und ein Friedensabkommen für Bosnien verhandelt. Die tatsächlichen serbischen Gesprächspartner in Bosnien – der Präsident der „Republik Srpska“, Radovan Karadzic und sein Militärchef Ratko Mladic- wurden vom Westen weitgehendst ignoriert. Sie hatten sich durch ihre brutalen ethischen Säuberungen und die 3 ½ -jährige Bombardierung Sarajewos längst als legitime Verhandlungspartner disqualifiziert.   Der starke Mann und die letzte Hoffnung eines kriegsmüden Westens war aller Ironie zum Trotz der Initiator aller Kriege auf dem Balkan, Slobodan Milosevic.
Und der hielt sich an sein Prinzip: „Man muß immer den richtigen Augenblick wählen  um seine Ziele zu erreichen. Der erste Schuß muß  geradewegs in die Stirn gehen.“  (während einer Diskussion  mit der serbischen Führung in Pale, aufgezeichnet im Buch von  Nikola Koljevic:Stvaranja republike Srpske)

 

Schuß in die Stirn

Der richtige Augenblick für den „Kopfschuß“  war aus Sicht Milosevics jetzt gekommen: Gegenleistung für ein von ihm garantiertes Friedensabkommen sollten die 3 unter UN-Schutz stehenden Enklaven  Srebrenica, Zepa und Gorazde sein.  Diese waren  in dem seit Sommer 1994 vorliegenden Plan über eine künftige territoriale Aufteilung Bosniens den bosnischen Muslimen zugeschlagen worden –  was  die Kompaktheit der serbischen Entität empfindlich beeinträchtigt hätte. Milosevic ließ keinen Zweifel daran, daß er den bisherigen Widerstand der bosnischen Serben gegen einen militärischen Rückzug auf 49 % des Territoriums (zu diesem Zeitpunkt hielten die Serben 70 % ) brechen könne.
Ein Angebot das , wenn auch  unmoralisch,  Washington – und in dessen Schlepptau vermutlich auch Paris und London – kaum ablehnen konnten und wollten. Der deal war besiegelt, die Enklaven zum Sturm freigegeben. In einer mittlerweile dechiffrierten Depesche der CNN wird die doppelte Moral des Westens  deutlich. 3 Tage nachdem General Mladic Srebrenica eingenommen hatte resümmierte der CIA, …“daß man sich der Analyse einiger amerikanischer Politiker anschließe, die Entfernung der Enklaven, die ein fortgesetztes Hindernis gewesen seien, würde die Verhandlungschancen für einen Frieden wesentlich erhöhen.“
Auch andere internationale Politiker wie etwa der schwedische Vermittler Carl Bildt machten in den Folgejahren kaum noch einen Hehl aus dem Pakt mit Milosevic. Bildt: Alle wußten daß ein Friedensabkommen den Verlust der Enklaven bedeuteten würde.
Eine Untersuchungskomission des französischen Parlaments kam zum selben Schluß: Hinter der UN hätten Großmächte gestanden, die 1995 die Verhandlungen über eine küftige ethnische Aufteilung Bosniens vereinfachen wollten.
Srebrenica wurde geopfert. Doch man machte einen fatalen Fehler, schreibt Florence Hartmann, die langjährige Sprecherin der ehemaligen Tribunal-Chefanklägerin Carla Del Ponte in ihrem Buch „Friede und Bestrafung“: Man hätte Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung ergreifen müssen – und tat es nicht. Das Resultat ist bekannt.

Blauäugige Strategie am grünen Tisch

Es ist indes kaum anzunehmen daß die Reißbrett-Strategen, die am Verhandlungstisch ganze Bataillons in die Schlacht schickten um ihre diplomatischen Ziele zu realisieren, die Frage der Evakuierung von rund 42 000 Einwohnern Srebrenicas nicht erörterten – etwa einen Korridor ins rund 70 km entfernte Tuzla, das von den bosnischen Truppen kontrolliert wurde. Mit der Ermordung von 7000 Männern auf diesem Fluchtweg hatte dabei sicher niemand gerechnet – auch wenn bosnische Politiker angesichts der immer deutlicheren Anzeichen eines serbischen Angriffs  eindringlich davor warnten.

Wie also kam es dazu, daß Tausende Männer und Jungen gezwungen wurden, auf Feldern niederzuknien um dann von Erschießungskommandos wie Schlachtvieh in stundenlangen Exekutionen ermordet zu werden ? Wer gab den Befehl, 1000 Männer in einer Fabrik in Kravica einzusperren, die Gefangenen darin anschließend mit Bomben und Gewehrsalven  zu töten?  Beim Haager Kriegstribunal ist man davon überzeugt, daß nur der serbische General Ratko Mladic, seinerzeit Militärchef der serbisch-bosnischen Armee, diese Befehle erteilten konnte –  ungeachtet der Horden von Freischärlern, die sich schon in der Planungsphase der Eroberung nahe Srebrenica versammelt hatten  – Abschaum der mordete und plünderte und sich seit Jahren als willkommener Handlanger bei ethnischen Säuberungen verdient machte.

 

Zwischen Napoleon und Waterloo

Wer den serbischen General Ratko Mladic kennt wird ihn als unberechenbar beschreiben, ein Mann der seit dem Selbstmord seiner Tochter 1994  zwischen Depressionen und cholerischen Anfällen schwankte. Ein Napoleon wollte er sein, der mit seiner Genialität die Serben in Bosnien zur „La Grande Nation“ erheben würde, befreit von den „Türken“, wie die Muslime verächtlich von der serbischen Bevölkerung genannt wurden. Doch gleichzeitig sah er auch  sein Waterloo nahen..

Wir werden den Krieg verlieren, tobte und wütete ein entfesselter Mladic am 15.April 1995, drei Monate vor dem Angriff auf Srebrenica, mit hochrotem Gesicht auf einer Sitzung der politischen Führung im bosnischen Sanski Most. Während seine Armee ohne Nahrung, Munition und Treibstoff sei, herrsche in Pale – dem Sitz der bosnischen Serbenführer – Profitgier, humanitäre Hilfen würden veruntreut und Unfähigkeit machten jeden Erfolg seiner Armee zunichte.

Die Korruption der serbischen Führung in Pale war kein Geheimnis.  Selbst im entlegensten Schützengraben wußte man längst, daß der vermeintliche Serben-Retter Radovan Karadzic in den Kasinos von Belgrad pro Nacht Millionen DM verspielte während der Sold eines Soldaten an der Front 8 DM monatlich betrug. Massenweise machten sich Deserteure jede Nacht auf den Weg, um mit Booten über die Drina den sicheren Hafen Belgrad zu erreichen. Mladics Versuche,  Tausende seiner Deserteure gewaltsam wieder mit Bussen nach Bosnien zurückzubringen, blieben erfolglos. Erst als auch serbische Polizisten die „Verräter“ jagten, konnten einige wieder in den Dienst des Vaterlandes gestellt werden.
Indes, nicht genug um 1600 km Grenzlinie zu kontrollieren, die die Serben mittlerweile in Bosnien erobert hatten.
Mladic – vergeblicher Bittsteller in Moskau

Neid und Panik muß Mladic gleichermaßen erfaßt haben wenn er die Entwicklung beim Kriegsgegner beobachtete. Die  bosnischen Armee hatte mittlerweile nicht nur weitaus mehr Kämpfer zur Verfügung, sie  erhielt auch – mit stillschweigendem Einverständnis der USA und unter Verletzung des  Waffenembargos – immer mehr Militärausrüstung aus dem Iran, Saudi-Arabien und der Türkei.
In  Washington wurde auf  Drängen Senator Robert Doles zugleich  darüber diskutiert, das Waffenembargo gegen die Muslime in Bosnien einseitig aufzuheben. Amerikanische Militärausbilder schulten seit langem die  bosnischen Militärs. Im Falle eines (mehrfach angedrohten) Rückzugs der Unprofor sollte die bosnische Armee zum gleichwertigen Gegner auf dem Schlachtfeld werden.

Solchen Entwicklungen konnte Mladics nur verzweifelt hinterherrennen. Belgrad leistete zwar nach wie vor militärische Hilfe  – doch Milosevic wollte sich die Chance einer Aufhebung des gegen Serbien verhängten Wirtschaftsembargos  nicht von „Verrückten“,wie er die serbische Führung jenseits der Drina mittlerweie bezeichnete, nehmen lassen. Mladic reiste heimlich als Bittsteller nach Moskau  – letztmals am 3.April 1995 – und forderte von dort militärische Hilfe. Vergeblich.  Jelzin dachte nicht daran, sich die guten Beziehungen zu Washington durch den international geächteten  „Schlächter“ zerstören zu lassen.

 

Erfolgreiches Prinzip „Geiselnahme“

Als die UN mit der Resolution 998 vom 15.6.1995, also einen Monat vor der Einnahme Srebrenicas, auch noch eine 12 500 Mann starke „schnelle Eingreiftruppe“ genehmigte, die ausgerüstet mit Panzern, schwerer Artillerie und Kampfhubschraubern in Bosnien zum Einsatz kommen sollte und  auch befugt war, direkte Angriffe gegen die Serben zu führen, mußte Mladic um sein letztes Faustpfand bangen: Die bis dato erfolgreiche   Erpressung durch Geiselnahmen.

Eine bewährte Methode, mit welcher er bisher dem Westen  die Daumenschrauben ansetzen konnte und der ihm, so wird vermutet, später auch den ungehinderten Einmarsch in Srebrenica ermöglichte.

Als am 25.5.1995 Natoflugzeuge – wenn auch halbherzig – zwei (leere) Munitionslager bei Pale bombardiert hatten, zögerte Mladic keinen Augenblick.  Schon am nächsten Tag sah die Welt auf ihren TV-Bildschirmen 370 UN-Soldaten, angebunden an Brückenpfeilern und als Geiseln schutzlos der Willkür eines vor Wut schäumenden Mladics ausgeliefert, der mit Erschießung drohte falls die Nato ihre Bombardierung fortsetze.
Das Kalkül ging auf. Der Westen kroch zu Kreuze. Am 28. Mai wurden die Nato-Angriffe bis auf „absehbare Zeit“ gestoppt.

Geheimabsprache zwischen Mladic und Frankreich?

Mit „einer persönlichen Botschaft“ des französischen Präsidenten Jacques Chirac reisten französische Generale, unter ihnen der UN-Kommandant Bosniens Bertrand Janvier eilends  nach Zvornik, um in Geheimgesprächen mit Mladic über die Freilassung der Geiseln – die meisten davon Franzosen – zu verhandeln. Der formulierte seine Bedingungen klar: Die Geiseln im Austausch zum künftigen Verzicht der Nato, Luftangriffe auf die bosnischen Serben zu fliegen.
Die Geiseln wurden freigelassen, die Offiziellen der UN und die französischen Offiziellen negieren bis heute einen deal.
Doch kaum einer der internationalen Beobachter oder Militärexperten zweifelt an dieser Form des Lösegelds. Selbst der bekannte US-Vermittler Richard Holbrooke spricht in seinem Buch „Der Weg nach Dayton“ von wichtigen, wenn auch indikativen Beweisen,  daß es nach der Befreiung der Geiseln zu einer Geheimabsprache zwischen den lokalen Kommandanten der UN und den bosnischen Serben kam bei welchem der künftige Verzicht auf Luftangriffe der Nato zugesagt wurde. Überzeugt von solch eine Zugeständnis gaben sich auch Milosevic und die Führung in Pale.

Das Verhalten der UN-Offiziellen, unter ihnen UN-Kommandant Bertrand Janvier, bei der Attacke auf Srebrenica und den bereits absehbaren Exekutionen bestätigt diesen Verdacht eher als daß er ihn ausräumt. Man zögerte tagelang bei der Anforderung von Nato-Luftangriffen, beschönigte die tatsächliche Situation in der Enklave und beschuldigte sich am Ende gegenseitig des Fehlverhaltens und der „Fehleinschätzung“.  Ohne Zustimmung der UN waren der Nato, deren Kampfhubschrauber teils stundenlang über der Adria kreisten und auf ihren Einsatz warteten,  die Hände gebunden. Der Grund ist ein „doppelter Schlüssel“, der bei Nato-Unterstützung sowohl der Zustimmung der Nato als auch der Vereinten Nationen bedarf.

 

 

Fürchtete Mladic die erneute Rekrutierung muslimischer Flüchtlige?

Und dennoch bleibt die Frage offen: Eine leere Enklave, aus der  nicht nur die Einwohner flüchteten sondern auch die zu ihrem Schutz beorderten holländischen UN-Soldaten um ihren freien Abzug flehten- was treibt einen siegreichen Feldherrn dann noch zum Völkermord?

War es jenes langgezogene Zelt, das nach Eintreffen der ersten Flüchtlinge aus Srebrenica am Eingang des Flughafens von Tuzla aufgebaut war und aus dessen Lautsprechern unermüdlich die  Stimme eines dort sitzenden bosnischen Militärs klang: alle Männer, die eintreffen, hätten sich zuerst beim Kommando zu melden um ihren nächsten Einsatzbefehl abzuholen. Erst dann könnten sie sich kurz bei ihren Familien melden. Gespräche mit Ausländern auf dem Flugfeld seien nicht erlaubt.

Währenddessen kauerten in  unzähligen kleinen Zelten auf dem Rollfeld Tausende evakuierter Frauen und Kinder aus Srebrenica, die  angstvoll auf ihre Männer, Väter und Söhne warteten – bereits wissend, daß ein Großteil in serbischen Hinterhalt geriet?

Sollte Mladic die Tötung von 7000 Männern und Jungen nicht bereits Monate vorab geplant haben, so wäre spätestens dies  der Zeitpunkt gewesen, ihn in unkontrollierte Panik zu versetzen. Gerettete Muslime als erneute Frontkämpfer gegen seine ohnehin geschwächte Armee zu sehen waren für ihn zweifellos unvorstellbar.

 

Unsäglicher Haß zwischen Muslimen und Serben

Oder war es Rache? fragte der Staatsanwalt des Haager Kriegstribunals den ehemaligen französischen  UN-Kommandanten und 5-Sterne-General Philippe Morrillon am 12.2.2004 im Zeugenstand. Morillon war  zwischen 1993 und 1994 in Srebrenica stationiert und hatte nur eine Antwort: Ja – ja – und nochmal ja. Nirgendwo in Bosnien habe er solch tiefen Haß zwischen Serben und Muslimen gesehen wie in dieser Region. Was 1995 passierte sei sei eine direkte Reaktion auf die grausamen Verbrechen, die der für Srebrenica zuständige militärische Führer der bosnischen Armee, Naser Oric, an der serbischen Bevölkerung in den umliegenden Dörfern verübt hätte. Oric sei ein „warlord“ gewesen, der mit Terror regierte – sowohl über seine Region als auch über die muslimanische Bevölkerung. Und er habe in einem Gespräch mit ihm, sagt Morillon, nicht einmal eine Entschuldigung für die Morde gesucht. Sein Standpunkt sei gewesen, ..“man könne sich nicht mit Gefangenen belasten.“  Schon damals habe er mit dem Schlimmsten gerechnet,  falls die Serben jemals in die Enklave eindringen würden.

Daß die muslimanische Armee aus der Schutzzone Srebrenica heraus Massaker an den Serben verübte, wird von Sarajewo nur ungern bestätigt und gerne auch mit dem Vorwurf gekontert, die Anschuldigungen seien „pro-serbisch“ gefärbt. Tatsache ist, daß allein am orthodoxen Weihnachtsfest 1993 49 serbische Einwohner des Dorfes Kravica von der bosnischen Armee und ihrem Militärführer Oric getötet und 86 schwer verletzt wurden.

 
Die Mafia von Srebrenica

Doch auch innerhalb der Enklave herrschte laut Pulitzer-Preisträger David Rohde erbitterter Streit zwischen den dortigen Muslimen. Schießereien zwischen muslimischen Fraktionen waren an der Tagesordnung.  In seinem Buch „Endgame – The betrayal and fall of Srebrenica“ beschreibt Rohde, wie die politische Führung der Stadt  nicht minder in Korruption verwickelt war wie die Serbenführer aus Pale. Humanitäre Hilfen wurden gehortet und zu Schwarzmarktpreisen an die hungernde Bevölkerung verkauft, Hundertausende von Dollar die aus Sarajewo oder der Emigration eingeschleußt wurden um an die Hinterbliebenen getöteter Kämpfer verteilt zu werden landeten in den Taschen der herrschenden Mafia. Vor Attentaten auf politische Opponenten wurde nicht gezögert.

 

Feind „Unprofor“

Dazu kam der Haß gegen die eigenen Beschützer. Grenzenloses Mißtrauen gegenüber den holländischen UN-Truppen führte lt. Rohde zur absurden Situation daß man während der serbischen Attacke auf die Stadt sogar erwägte, holländische Geiseln zu nehmen oder einige UN-Soldaten zu erschießen. „Fuck you“ war in diesen Tagen das meistgehörte Wort das die Blauhelme aus den Niederlanden von den   Muslimen hörten.

Die Antipathie beruhte auf Gegenseitigkeit. Der französische Kommandant Bertrand Janvier hatte der bosnischen Armee mehrmals vorgeworfen,  sie schieße mit Scharfschützen auf UN-Soldaten um dies anschließend den Serben anzulasten.

Verschärft wurde die Situation in diesen dramatischen Tagen  durch die Erschießung eines holländischen Soldaten am 6.Juli durch bosnische Kämpfer.
Was dagegen am 11.Juli geschah bleibt weiter ungeklärt.
Als Muslime einen holländischen Panzer nahe dem Dorf Jaglici blockierten, soll der Kommandant des Panzers die Fahrt fortgesetzt und dabei mehr als 20 Muslime getötet haben. Ein holländischer Soldat  filmte das Geschehen – doch der Film wurde später im holländischen Verteidigungsministerium „versehentlich“ vernichtet.

Rohde beschreibt, wie am 10. Juli – also einen Tag vor der endgültigen Eroberung der Enklave – General Janvier die Bosnier beschuldigte, sie versuchten bewußt die UN in Kämpfe zu verwickeln.
Ich erinnere jeden, wird Janvier zitiert, daß die Truppen der bosnischen Armee stark genug sind, sich selbst zu verteidigen.

 

Verrottete Raketen oder modernste Abwehrwaffen?

Waren sie dies tatsächlich?  Daß Srebrenica nicht „demilitarisiert“ war, wie dies die UN-Resolution vorsah, will heute kaum noch jemand bestreiten. Tatsache ist auch, daß sich die Mehrheit der dort befindlichen rund 4000 Soldaten mit  weiteren 6000 – 10 000 männlichen Einwohnern der Stadt schon einen Tag vor der Einnahme der Stadt, also am 10.Juli, in den Wäldern versammelte. Die Kolonne wollte sich ins muslimisch-bosnisch kontrollierte Tuzla durchschlagen -ohne auch nur einen Schuß auf die anrollenden serbischen Panzer abzugeben. Der Rechtfertigung, die vorhandene Militärausrüstung sei marode und unbrauchbar gewesen stehen präzise Angaben konstanter Waffenlieferungen an die Schutzzone gegenüber. Selbst Bosniens Präsident Alija Izetbegovic sagte am 5.8.1995: „Unsere Armee versuchte, Srebrenica ausreichend Waffen zukommen zu lassen. Wir haben 17 Hubschrauber mit Waffen in die Stadt geschickt und unsere Armee-Experten waren sicher, man könne damit Srebrenica 30 Tage verteidigen. Warum, fragte Izetbegovic,  wurde in Srebrenica nicht ein einziger Panzer getroffen?“
Bosniens Generalstabschef Rasim Delic führte das militärische Desaster auf die innere Destruktion der Lokalpolitiker in der Stadt zurück, welche selbstherrlich und  parallel regiert und die Anordnungen aus Sarajewo mißachtet hätten. Man habe Srebrenica in den letzten Monaten mehr Waffen zukommen lassen als der Generalstab 1993 für ganz Bosnien wollte, sagte Delic: Antipanzerwaffen für größere Entfernungen, Laserwaffen, ausreichend Raketen und genügend Munition.

 

Washingtons geheime „Schwarz-Flüge“

Und es war nicht allein Sarajewo, das die Enklave aufrüstete. Cees Wiebes, holländischer Geheimdienstexperte, zitiert in seinem Buch „Intelligence and the war in Bosnia“ Dutzende von Quellen, die konstante nächtliche „Schwarz-Flüge“ mit Waffenlieferungen für die Enklaven bestätigten. Die UN kontrollierte zwar in Tuzla die längste Landebahn. Doch drei weitere Landebahnen waren relativ weit von dieser entfernt und uneinsehbar für die dort stationierten Blauhelme.
Ein Auszug aus Cees Wiebes Buch:
Am 10.2.1995 um 17.45 stand der norwegische Pilot Ivan Moldestad vor seiner Unterkunft etwas außerhalb von Tuzla. Es war dunkel, als er plötzlich die Propeller eines vorbeifliegenden Transportflugzeuges hörte. Es war eindeutig eine 4-motorige Hercules C-130, die von 2 Kampfjets begleitet wurde. Auch andere Augenzeugen bemerkten das Flugzeug und berichteten dies dem Nato-Flugzentrum in Vicenza sowie der UN-Flugkontrolle in Naples. Als Moldestad in Vicenza anrief wurde ihm gesagt, es haben keine Flugverkehr in dieser Nacht gegeben, er müsse sich geirrt haben. Als er insistierte wurde die Verbindung unterbrochen.

Ein britischer General, der direkten Zugriff auf die Geheimdienstprotokolle einer britischen Spezialeinheit hatte, war sich der amerikanischen Herkunft dieser Waffen sicher.
Für die Lieferungen von Waffen und Militärausrüstung via den Flughafen Tuzla besitze die UN Beweise, bestätigte auch der amerikanische Militärexperte Richard Butler vor dem Kriegstribunal in Den Haag.

Der Kommandant der Schutzzone Zepa, von welcher aus die Waffen nach Srebrenica weiter transferiert wurden,  berichtete Mitte April 1995 er habe nach Srebrenica 50 000 Schuß Munition, 110 Minen, 90 Maschinengewehre und Uniformen weitergeleitet.  In Zepa seien zusätzlich 4 TF8 Raketen eingetroffen sowie 1 Raketenwerfer.

Daß solche Angaben offiziell dementiert werden, ist kaum überraschend.

 

Izetbegovic, ein frustrierter Landesführer zwischen 2 Fronten

Kaum überrascht über den serbischen Angriff auf Srebrenica hatte sich indes auch Bosniens Präsident Alija Izetbegovic gezeigt. Als am 11.7. die Meldung von der Eroberung der Enklave eintraf, unterbrach dieser nicht einmal die Sitzung des Hauptausschusses seiner SDA-Partei in Zenica, an der er ebenfalls teilnahm.  Ganze 5 Minuten wurden dem Verlust der Stadt gewidmet.
Tatsächlich hätte der bosnische Führer  blind und taub sein müssen, um aus dem jahrelangen Drängen zahlreicher internationaler Vermittler zu einem Austausch Srebrenicas gegen die von Serben besetzten Vororte Sarajewos nicht auch die damit verbundene Drohung zu hören. Der damalige bosnische Außenminister Muhamed Sacirbegovic erinnert sich an konkrete Warnungen, man werde im Falle einer Weigerung Sarajewos, die Enklaven auszutauschen, diese im Fall eines serbischen Angriffs nicht verteidigen. Premier Haris Silajdzic wurde beim Besuch in den USA am 8.6.1995 ebenfalls  eindringlich aufgefordert, die Enklaven aufzugeben. Diese seien ohnehin verloren. Einer Warnung, der sich Warren Christopher, Charles Redman, Richard Holbrooke – allesamt enge Berater von Präsident Clinton, anschlossen.
Lt. Aussagen des ehemaligen Kommandanten des bosnischen Armee, Sefer Halilovic hatte Izetbegovic seit 1993 den Führern in Srebrenica mehrmals den Tausch vorgeschlagen. Doch diese hätten abgelehnt.
Am 15. März 1995, also 2 Monate vor der Eroberung der Enklaven Srebrenica und  Zepa, schickte der in Bedrängnis geratene Izetbegovic sogar einen Unterhändler, den Akademiker Muhamed Filipovic, nach Belgrad um mit Milosevic über einen Territorientausch und eine eventuelle Umsiedlung der Bevölkerung zu verhandeln.
In seinem Buch „Schlaue Strategie“ vermutet Sefer Halilovic, daß es schließlich zu einer Vereinbarung zwischen Izetbegovic und  Milosevic gekommen sei. Sarajewo habe dabei zugesagt, einen Gebietsaustausch stillschweigend zu dulden, wenn dieser unter Vermittlung der USA und EU stattfände.

Der Abzug des Militärchefs  von Srebrenica,  Naser Oric,  samt 15 weiterer Militärkommandanten im April 1995 aus der Stadt und das von Izetbegovic verhängte Verbot ihrer  Rückkehr schien zunächst  für viele ein Indiz , daß der bosnische Präsident mit einem bevorstehenden Fall der Enklave rechnete.

 

3 Affensystem: nichts sehen, nichts hören, nichts sagen

Doch warum kam es nicht zu einem friedlichen  Gebietsaustausch, dem lt. Holbrooke auch die Serben in Pale zugestimmt hätten?
Hatte sich Izetbegovic, der für eine Meinungsänderungen berüchtigt und international gefürchtet war, doch für die spektakuläre Lösung entschlossen, die die Nato zur Verteidigung der Schutzzone zwingen würde und vielleicht sogar zur lang ersehnten Bombardierung aller bosnisch-serbischen Stellungen?  Man mag Izetbegovics Verzweiflung nachvollziehen, der zu Kriegsbeginn überzeugt war, der Westen werde sein Bemühen um die Einheit Bosniens notfalls mit Gewalt verteidigen und am Ende feststellen mußte, daß dies eine Fehlkalkulation war.

Doch wurde der Westen vom Zeitpunkt des Angriffs auf Srebrenica tatsächlich überrascht?
Unzählige abgehörte Gespräche der Geheimdienste und der Kriegsparteien untereinander  sollen bereits Wochen vor dem Angriff der Serben auf deren Absicht hingewiesen haben, die Enklave gewaltsam zu erobern.  Bosnien sei zu diesem Zeitpunkt das am meisten abgehörte Land der Welt mit Hunderten von Agenten gewesen, die nicht nur die Kriegsparteien sondern sich auch gegenseitig abhörten und ausspionierten, schreibt Geheimdienst-Experte Wiebes. Sie hätten sich in UN-Posten infiltriert, in humanitäre Organisationen, das Rote Kreuz und alles, was in Bosnien Zugang zu Informationen und Terrain  hatte. Vor allem die Amerikaner hätten dabei, ohne selbst Bodentruppen stationiert zu haben,  das gros der Agenten gestellt.
In Zagreb führte der CIA ein eigenes Büro, das er jedoch sorgsam vor den Kollegen anderer Staaten abschirmte. Jeder der Geheimdienste habe sein eigenes Süppchen gekocht, stellt Wiebes fest, die gesammelten Daten seien nur selten der UN zur Verfügung gestellt worden sondern fast ausschließlich den eigenen nationalen Sicherheitsbehörden.
Angeblich hatten die Späher auch direkten Zugang ins Umfeld von Mladic und Karadzic.
Trotzdem will kein einziges Land über die serbische Attacke vorab informiert gewesen sein.

Verspätete Auswertung von Filmmaterial, fehlende Dolmetscher.

Für die technisch hochentwickelten Abhöranlagen, Satelliten und Aufklärungsflieger  war selbst der militärischen Funkverkehr der Kriegsparteien keine Hürde. Bei den Prozessen vor dem Haager Kriegstribunal wurden Hunderte von Abhörprotokollen als Beweise vorgelegt.  Bis heute negiert jedoch jedes dieser Länder, die sich sonst der Erkennung einer Fliege auf dem Teller rühmen, Echtzeit-Informationen über die geplante serbische Offensive und vor allem die tagelangen Exekutionen gehabt zu haben.
Die Recherchen zahlreicher Journalisten halten diese Aussagen nicht für glaubwürdig. .
Als die Ermordung muslimanischer Männer in vollem Gange war, hätten zwei amerikanische Auflärungsflugzeuge U2 und Predator Hunderte von Luftaufnahmen gemacht, behauptet der französische Journalist Jacques Masse in seinem Buch „Unsere lieben Kriegsverbrecher“. Auf einer Fotografie vom 17.Juli sei auf einem Feld nahe einem Landwirtschaftsgelände in Branjevo aufgewühltes Erdreich zu sehen, in welchem Leichen in Eile von Baggern verscharrt worden waren – rechts davon sei der Boden immer noch von Toten überdeckt gewesen. Die Bilder wurden jedoch erst am 9. August dem UN-Sicherheitsrat von der damaligen Vertreterin Washingtons bei den Vereinten Nationen, Madeleine Albright, übergeben. Auch die durch ihre Position als Sprecherin der damaligen Chefanklägerin Carla del Ponte unmittelbar an der Dokumentenquelle sitzende Journalistin Florence Hartmann hegt keine Zweifel; Die westlichen Mächte hätten alle  Vorab-Kenntnisse über die serbische Offensive gehabt und die Massenmorde in Echtzeit verfolgt. Der deutsche Geheimdienst-Experte Udo Ulfkotte schreibt in seinem Buch „Verschlußsache BND“ der britische Außenminister Malcom Rifkind habe – nur wenige Minuten zeitversetzt – die Massaker von Srebrenica verfolgen können.
Ein Vorwurf, der verständlicherweise von Washington bis London  heftig bestritten wird. Die Begründungen dafür sind dennoch suspekt: Schlechte Qualität der Bilder, fehlende Dolmetscher beim Abhören der aufgezeichneten Gespräche, unter anderem zwischen den direkten Verantwortlichen bei der Planung des Angriffs.

Ignoranz und Desineresse

Holland sieht sich in diesem Vertuschungsmanöver der Großmächte als Bauernopfer. Sowohl die USA als auch  Großbritannien hätten schon Anfang Juni von dem Angriff der Serben  Kenntnis gehabt, behauptet der ehemalige niederländische  Verteidigungsminister Joris Voorhoeve ….diese Information jedoch nicht an die holländischen Blauhelme weitergeleitet.
Dies ist wenig glaubwürdig.
Schon am 8. Juni, einen Monat vor dem Fall der Enklave, hatte die bosnische Armee ein dringendes Treffen mit dem „Dutchbad“, den seit 1994 zum Schutz Srebrenicas stationierten rund 400 holländischen Soldaten gefordert. Dem holländischen Komandanten Karremans wurde dabei ein erwarteter Frontalangriff der Serben mitgeteilt.
Doch der zeigte sich wenig beeindruckt. Zudem erwartete er, daß  die bosnische Arme im Fall eines Angriffs Srebrenica selbst verteidige. Dazu, hatte Karremans im Juni den militärischen Führern der Stadt gesagt, sei sie seiner Meinung nach stark genug.

Unterhosen und  konfiszierte UN-Fahrzeuge

Doch ob mit oder ohne Vorinformation: Die Peinlichkeit der hasenfüßigen Oranje-Truppe war – auch unter Berücksichtigung des eigenen Schutzes –  kaum noch zu toppen. Zeugen berichteten, daß sich viele Blauhelme in Srebrenica bis auf die Unterhosen von den Serben entkleiden ließen, damit diese mit deren Uniformen später die Muslime als vermeintliche „UN-Soldaten“ in den Hinterhalt locken  konnten.
Weiße UN-Fahrzeuge wurden gekapert, Gewehre und Panzerwesten konfisziert und 30 holländische Soldaten von Mladic erneut als Geiseln in Bratunac, einer nahen unter serbischer Kontrolle stehenden Gemeinde, festgehalten.

 

Karremans – das Symbol eines mißverstandenen Mandats

An der Spitze der holländischen Schutzmacht stand der als  arrogant  und selbstherrlich geschilderte Kommandant Thomas Karremans, von dem  Serbengeneral Mladic kurz vor dem Angriff auf Srebrenica und zur Abwägung aller Störfaktoren ein Psychogramm anfertigen ließ. Mladic konnte mit dem Ergebnis zufrieden sein. Karremans wurde als feiger Bürokrat mit niedriger militärischer Moral charakterisiert.
Mit dem UN-Mandat, die Bevölkerung der Enklave zu schützen, konnte er sich offenbar nur schwer identifizieren. Seine  Ressentiments gegenüber den Muslimen waren nicht zu verbergen.
Selbst die Verteilung von Bonbons an die Kinder wurde seinen Soldaten strikt verboten.
Als das Krankenhaus in Srebrenica angesichts der zahlreichen Verwundeten während der serbischen Bombardierung  um medizinische Hilfe bat lehnte er dies mit dem Hinweis ab, man sei ausschließlich verpflichtet, den holländischen Soldaten Hilfe zur Verfügung zu stellen.
Unbarmherzig weigerte sich Karremans auch der Bitte seines langjährigen Dolmetschers Hasan Nuhanovic nachzukommen, dessen Vater und Bruder zu retten. Beide wurden später von holländischen Soldaten den Serben übergeben und später getötet.
2011 sprach ein Gericht in Den Haag Holland dafür schuldig.
Das Ego des Kommandanten der holländischen Truppen erwies sich als fataler Fehler. Informationsquellen aus der Bevölkerung lehnte er strikt ab. Als am 18.3.1995 zwei neue Männer des britischen Geheimdienstes in Srebrenica ankamen und Kontakt mit den Muslimen in der Enklave suchten, soll Karremans ihnen dies wütend verboten  und sogar gedroht haben, sie aus der Enklave zu vertreiben.

 

Der merkwürdige Versuch einer Bombardierung

Die verzweifelten Rufe des holländischen Kommandanten nach „Nato-Luftunterstützung“ setzten erst ein, als er tagelang die Situation fehleingeschätzt hatte und davon ausging, die Serben wollten nur die Umgebung Srebrenicas freikämpfen um einen Korridor zu den isolierten serbischen Gemeinden zu schaffen.
Das Eingreifen der Nato scheiterten aber auch an der Hinhaltetaktik der UN-Verantwortlichen in Zagreb. Erst am 11. Juli, als die Stadt bereits in den Händen der Serben war und General Mladic diese „seinem Volk als Geschenk überreichte“  warfen  2 holländische F 16 Kampfflieger Rauchbomben über Srebrenica ab. 2 Stunden später flogen 2 amerikanische F-16 über der Stadt –   mit der strikten Anweisung nur die Artillerie anzugreifen, die Feuer auf die Posten der UN eröffne. Letztere, so schreibt David Rohde in seinem Buch, hätten ihre Bomben mangels  Zielführung aber nicht abwerfen können – von den  beiden holländischen Flugkontrolleuren habe sich einer parallisiert vor Angst nicht mehr bewegen können, der zweite sei schreiend auf dem Boden gelegen und habe geschrien: ich will nicht sterben.
Erfolgreiche Erpressung
Mladic hatte zwischenzeitlich längst auf sein bewährtes Szenario zurückgegriffen. Die holländischen Geiseln mußten aus Bratunac ihre  Base anrufen und ihre bevorstehende Erschießung ankündigen, falls die Nato weiter bombardiere. Karremans wurde von Mladic wütend gefragt, ..“ob er seine Familie wiedersehen möchte“..Den  TV-Kameras in aller Welt präsentierte sich Mladic dagegen als humaner Sieger: Das Sektglas in der Hand stieß er mit Karremans an, den Kindern schenkte er Schokolade, den Einwohnern Srebrenicas versprach er eine sichere Evakuierung in ihr eigenes Territorium.

Um 16.30 Uhr wurden die Angriffe einstellt. Srebrenica sei gefallen, meldete der Spezialbeauftragte des UN-Generalsekretärs für das ehemalige Jugoslawien, Yashushi Akashi, nach New York.

Freie Fahrt in den Tod

Ein mental überforderter Karremans akzeptierte widerstandslos die Anordnung Mladics,  die rund 30 000 muslimischen Männer und Frauen, die in der UN-Base Potocari nahe Srebrenica Zuflucht gesucht hatten,am 12. Juli  ausschließlich  unter serbischer Aufsicht zu evakuieren. Selbst 30 000 Liter Diesel für den Transport stellten die erniedrigten und demoralisierten Holländer den Serben zur Verfügung.
Zeugen berichten, daß die holländischen Beschützer sogar dabei halfen, wehrpflichtige Männer von Frauen und Kindern zu trennen.
Dies, obwohl die meisten von ihnen längst beobachtet hatten, daß in dem „berüchtigten weißen Haus“ nahe der Base Dutzende von Männern ermordet worden und in einen nahen Fluß geworfen worden waren.
Die verängstigenden Blauhelme hatten nur eines im Sinn: So schnell wie möglich weg!

Als die Todestransporte mit den schreienden und um Hilfe rufenden Männern aus Potocari abfuhren, wußten diese vermutlich, daß dies ihre letzte Fahrt sein würde. Am 17. Juli war der Völkermord beendet.

 

Ein Nachspiel als Feigenblatt für die Geschichtsbücher

Was folgte war der Versuch der Großmächte, die eigene Schuld am Tod von 7000 Männern zu kaschieren. Frankreichs Präsident Chirac wollte mit französischen Soldaten die Enklave „zurückerobern“ und forderte bei deren Stationierung die Luftunterstützung der USA. Andernfalls drohte er mit dem Abzug der französischen UN-Soldaten aus Bosnien.  Weder Washigton noch London stimmten diesem Plan zu.

Der Friedensplan für Bosnien war jedenfalls unter Dach und Fach. Srebrenica wurde serbisches Territorium, wenige Tage später eroberten die Serben auch die Schutzzone Zepa. Gorazde konnte gerettet werden.

Doch am Ende sei die Frage erlaubt: Wer soll all dies den Müttern, Vätern und Söhnen erklären, die in diesen Tagen vor den Mahnmalen ihrer grausam hingerichteten Familienangehörigen trauern..

 

 

 

 

 

 

 

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Vom Feind zum Freund

 

„Trump der Serbe“, jubelten serbische Medien nach dem Wahlsieg Donald Trumps – getreu dem Motto: Der Feind von gestern wird zum Verbündeten von heute wenn es den eigenen Zielen nützt. Die im Wahlkampf gezeigte Sympathie des neuen US-Präsidenten für Rußlands Amtsinhaber Putin ist für Belgrad nicht nur die Rechtfertigung seiner bisherigen pro-russischen Politik sondern auch moralische Genugtuung gegenüber Brüssel. Denn dort wird bekanntlich die enge politische Anlehnung des offiziellen EU-Kandidaten Serbien an die vermeintliche Schutzmacht Rußland mit wachsender Skepsis verfolgt. Daß der unberechenbare neue Freund jenseits des Atlantik dann auch den Kosovo-Albanern zu deren 9. Jahrestag der Unabhängigkeit von Serbien gratulierte war vermutlich Kollateralschaden, den es unter Seelenverwandten zu tolerieren gilt.

 

 

War Milosevic der tatsächliche Kriegsgewinner?

 

Doch nicht nur Trump läßt mit neuen Tönen aus Washington aufhorchen. Auch sein neuer nationaler Sicherheitsberater, Generalleutnant Herbert Raymond McMaster, 54, sorgte in serbischen Medien für Schlagzeilen. Sein Geständnis, Serbiens ehemaliger Präsident Slobodan Milosevic (+2006) habe bei der Natobombardierung Jugoslawiens vom 24.3.-10.6. 1999 die Verteidigungsallianz nach Strich und Faden ausgespielt, das Kriegsende sei völlig in seiner Hand gelegen, salbt nicht nur serbisches Nationalbewußtsein. Es läßt auch vermuten daß McMaster seinen Chef im Weißen Haus im Falle neuer gewaltsamer Konflikte auf dem Balkan vor erneuten Kriegsabenteuern eindringlich warnen wird. Eine Erkenntnis, die für den krisengeschüttelten Balkan weit mehr ist als empfehlende Prognosen für eine ferne Zukunft. Denn die militärischen Tendenzen und Strategien des bisherigen Weltpolizisten USA sind auch ein Paramenter für die Risikobereitschaft der eigenen Politiker, einschließlich einer erneuten Stärkung der hardliner welche nach wie vor ihre einstigen Kriegsziele verfolgen. Kosovo und Bosnien stehen hier in vorderster Front.

 

 

Wenn Arroganz die Realität verdrängt

 

Schonungslos beschreibt McMaster in seinem 2003 erschienenen „Student Issue Paper: Defense transformation and the underlying assumption of dominant knowledge in future war“ wie die ursprünglich auf 5 Tage einkalkulierte Bombardierung Rumpf-Jugoslawiens zum Albtraum des Militärbündnisses wurde.

Falsche Strategien, militärische Überheblichkeit, schlampige Analysen der Nachrichtendienste und mangelnde Übereinstimmung von politischen und militärischen Zielen hätten zum totalen Fehlschlag der Mission geführt – bei einem Gegner, der technisch unterlegen war und sich mit veralteter russischer Technik verteidigte.

 

 

 

 

 

 

Es ist ein Blick hinter die Kulissen, der von haarsträubenden Fehleinschätzungen zeugt und nicht selten den Eindruck hinterläßt, die Nato habe sich mit „fake-news“ zum souveränen Sieger küren wollen.

 

 

Der Wettlauf des Igels gegen den Hasen

 

So wurden nicht 450 serbische Artilleriegeschoße zerstört wie nach Kriegsende von Nato-Offiziellen behauptet  sondern lediglich 20. Statt der vermeintlich 120 vernichteten Panzer betrug die tatsächliche Zahl 14.

Als Folge 78-tägiger non-stop-Bombardierung und 40 000 Flugeinsätzen wurden nicht einmal 5 % der serbischen Kriegsmaschinerie und Kampfsysteme vernichtet.

Die Natooffiziellen wischten sich vermutlich auch die Augen, als nach Kriegsende nahezu die gesamte serbische Luftwaffe unversehrt aus einem Hangar bei Pristina auf den Landstraßen nach Belgrad zurückrollte.

 

…wenn die stärkste Luftwaffe der Welt Attrappen bombardiert

 

Serbische Improvisation, schreibt McMaster, ließ die technische Überlegenheit der Nato verpuffen. Mit Tarnung, Täuschung oder Infiltrierung der eigenen Soldaten in Zivilkonvojs wurde das Militärbündnis fast wie bei einer Köpenickiade manipuliert. Von 3000 Bombenangriffen auf serbische Stellungen und Panzer trafen 500 nur aufgestellte Attrappen. Eine ganze Industrie hatte sich lange vor Kriegsbeginn mit der Anfertigung solcher Duplikate befaßt. Kaum hatten die Spähflugzeuge der Nato ihre Ziele fixiert, wurden Panzer und Militärtechnik in den Wäldern versteckt und durch Papp- oder Holzattrappen ersetzt.

Eine Methode die schon Jahre zuvor im Bosnienkrieg erfolgreich eingesetzt wurde, offenbar aber nicht zum Erkenntnisgewinn der Nato beitrug.

Zudem erwies sich die exakte Lokalisierung möglicher Ziele als schwierig da die serbische Luftabwehr die Natobomber zu einer Flughöhe über 15 000 Fuß zwang.

Auch serbische Radarschirme gerieten kaum in Gefahr, vom Feind geortet zu werden. Sie wurden nur kurzfristig zur Erfassung der sich nähernden Nato-Kampfflugzeuge ausgefahren um anschließend wieder unsichtbar in Erdlöchern zu verschwinden.

Eine solche Manipuation des Radarschirms führte schließlich zum peinlichsten Verlust der USA: Schon am 3. Kriegstag war es dem serbischen Oberst Zoltan Dani gelungen, das Flaggschiff der US-Technologie, das angeblich unsichtbare und damit unzerstörbare F 117-Kampfflugzeug nahe Belgrad abzuschießen.

 

 

Versuchsobjekt Balkan?

 

Doch es war nicht allein die serbische Partisanen-Strategie, die die Planungsstrategen in Washington überraschte. Die entscheidenden Fehler, so McMaster seien von den USA selbst gemacht worden.

Der damalige US-Präsident Bill Clinton habe den Balkan als eine Art Lackmustest für künftige Militärstrategien gesehen, in welchen ohne eigene Verluste und allein auf Luftschlägen basierend ein Krieg gewonnen werden könne.

Um für die Bombardierung Restjugoslawiens eine Abstimmung im Kongreß zu verhindern habe Clinton fatalerweise von vornherein die Entsendung von Bodentruppen ausgeschlossen – womit er Milosevic nicht nur ermöglichte, seine ethnischen Säuberungen und Terroraktionen gegen die albanische Bevölkerung des Kosovo fortzusetzen sondern ihm auch die Gewißheit gab, die Luftangriffe der Nato aussitzen zu können.

Serbische Spione, vermutlich sogar innerhalb des Nato-Hauptquartiers, vereitelten jedes Überraschungs-Manöver. Sie informierten Belgrad nicht nur vorab über Querelen innerhalb der USA sowie zwischen den Nato-Verbündeten sondern auch über die geplanten Angriffsziele selbst.

Ein Vorteil, der die tatsächlichen Schäden gewaltig reduzierte und der serbischen Armee Gelegenheit gab, Objekte wie etwa Kasernen samt Militärausrüstung rechtzeitig zu evakuieren.

 

 

Keine Ziele und Zoff unter den Verbündeten

 

Daß zahlreiche Ziele mehrfach bombardiert wurden hatte allerdings weniger mit dem Wunsch nach gründlicher Zerstörung zu tun als mit verzweifelter Suche nach neuen Objekten. Die Strategen in Washington hatten nicht die geringsten Zweifel gehegt, Milosevic werde spätestens 5 Tage nach Kriegsbeginn kapitulieren. Warum also Zeit mit der Suche nach weiteren Zielen verschwenden.

Tausende neuer Ziele mußten buchstäblich über Nacht gefunden werden. Ein Großteil davon wurde wieder gestrichen, weil   serbenfreundliche Länder wie Frankreich, Griechenland oder Italien trotz fortgesetzter Brutalität der Serben gegenüber den Kosovo-Albanern ihr Veto einlegten. Der immer planlosere Bombenhagel über Serbien und dem Kosovo, häufig auf veralteten Karten und mangelnden nachrichtendienstlichen Informationen basierend, ließ auch die Zahl der Kollateralschäden auf mehr als 20 ansteigen.

Neben der Bombardierung der chinesischen Botschaft und den versehentlich über Bulgarien abgeworfenen Bomben traf es Krankenhäuser, Schulen, Züge und Flüchtlingskonvojs.

Niemand weiß genau, wie viele Bomben in der Adria versenkt wurden, weil diese nach witterungs- oder navigationsbedingten Fehlschlägen nicht mehr zurückgebracht werden durften. Die offizielle Zahl von 238 dürfte weit untertrieben sein.

Ob auch uranangereicherte Munition bei den Luftschlägen eingesetzt wurde, darauf geht McMaster in seiner Studie nicht ein.

 

Task Force Hawk – eine potemkinsche Offensive

 

Eine der blamabelsten Aktionen war allerdings lt.McMaster die Stationierung von 24 Apache-Kampfhubschraubern in Albanien, um von dort aus Einsätze in Jugoslawien zu fliegen.

Der vorgesehene Flugplatz bestand aus Schlamm und stehendem Wasser, die Piste mußte erst durch angefahrenen Schotter flugtauglich gemacht werden, die Rampe glich einer Müllkippe aus Militärgeräten, Versorgungsmaterial und Reserveteilen. Mit 517 Transporteinsätze wurden 6000 Soldaten und Militärtechnik eingeflogen. Die Mission „Task Force Hawk“ kam nie zustande. Sie wurde gestrichen nachdem 2 Testpiloten bei Trainingsflügen abgestürzt waren. Die nächtlichen Einsätze seien aufgrund des gebirgigen Geländes und mangelnder Bodenunterstützung zu gefährlich, hatte die Militärführung entschieden..

 

Frieden dank Rußland

 

Welch Aufatmen bei der Nato, als Milosevic nach 78-tägiger Bombardierung schließlich einlenkte – allerdings nicht als Resultat einer vorhersehbaren Niederlage.

Neben der viel zu spät erfolgten Androhung von Bodentruppen war es lt. McMaster vor allem Rußland , das den größten Anteil an der Kapitulation Milosevics trug. In einer letzten diplomatischen Offensive hatte neben dem ehemaligen finnischen Präsidenten Martti Ahtisaari der russische Unterhändler und ehemalige Premier Viktor Chernomyrdin Milosevic der Illussion beraubt, Moskau werde bei einer Fortsetzung des Kriegs zugunsten Serbiens eingreifen. Jelzin waren die Beziehungen zu den USA wichtiger als die Unterstützung des von ihm ohnehin wenig geschätzten serbischen Präsidenten.

Serbische Medien hatten sich seinerzeit auf „Insider“ berufen, wonach Chernomyrdin mit der flachen Hand über den Konferenztisch gewischt und Milosevic gewarnt habe: …so werde Serbien anschließend aussehen, eine Wüste mit Millionen von Toten, wenn er nicht aufgebe.

 

 

Bei künftigen Kriegen: Sieg um jeden Preis

 

Technische Überlegenheit, so McMasters Fazit nach dem Desaster der Verteidigungsallianz im Kosovo-Krieg, reiche bei künftigen Kriegsereignissen nicht mehr aus. Selbst die für 2020 vorgesehene Perfektion von Kriegstechnik hätte beim Natoeinsatz 1999 kaum zu anderen Ergebnissen geführt, da die Analysen der Nachrichtendienste nicht auf detailliertem Wissen sondern überwiegend auf Vermutungen basierten.

Die Fehleinschätzung Milosevics trotz 4-jähriger diplomatischer Kontakte waren nur einer der entscheidenden fauxpas.

Obwohl die Vorbereitungen für einen Luftkrieg gegen Rumpf-Jugoslawien vom Mai 1998 bis März 1999 dauerten, fehlten fundamentale Analysen über die zu erwartende serbische Reaktion..

 

Das Hauptkriterium künftiger Kriege müsse deshalb lt. McMaster die Gewißheit eines sicheren Sieges sein. Dafür müßten alle zur Verfügung stehenden Mittel eingesetzt und dürften Bodentruppe nicht grundsätzlich ausgeschlossen werden. Entscheidend seien jedoch nachrichtendienstliche Informationen, welche durch neue Techniken so zu optimieren sind daß sie dem Feind keine Chance gleichwertiger  Informationsbeschaffung einräumen. Präsident Trumps angekündigte Aufstockung des Atomwaffenarsenals und ein Anwachsen des Verteidigungsbudgets um 54 Milliarden Dollar trägt damit dem Konzept seines neuen Sicherheitsberaters  Rechnung.

 

 

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Allgemein, Politik

Montenegro: ein Zwerg mit Feigenblatt-Demokratie soll 29. Nato-Mitglied werden

 

 

Wenn Milo Djukanovic von einem „historischen Triumph“ spricht, mag dies berechtigt sein. Der montenegrinische Premier hat es wieder einmal geschafft, seinem Mini-Staat mit gerade mal 625 000 Einwohnern das Image eines Global Players auf der Weltbühne zu verleihen. Am 19. Mai bestätigten die Natomitglieder in einem Protokoll, Montenegro als 29. Mitglied in das Verteidigungsbündnis aufzunehmen. Formal tritt das Abkommen inkraft, wenn dieses bis Frühjahr 2017 von allen Mitgliedsländern ratifiziert wird.

Wenn allerdings auch Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg einen „historischen Triumph“ bejubelt, dann dürfte der wohl eher politischer als militärischer Natur sein. Weder die 61 maroden, stillgelegten T-55-Panzer der montenegrinischen Armee noch die 2000 Soldaten, von welchen sich Umfragen zufolge 70 % weigern an gefährlichen Auslandseinsätzen teilzunehmen, dürften die Sicherheit des Westens triumphal erhöhen.

 

Nato oder Putin

 

Zwar schließt Montenegro mit rund 200 km Küstenlinie die Lücke zwischen den Nato-Mitgliedern Kroatien im Norden und Albanien im Süden und räumt der Nato somit das geostrategische Hausrecht über die Adria ein. Entscheidender für das plötzliche Werben um den Zwergstaat war aber wohl die Befürchtung, Moskau könne sich via das traditionell nach „Beschützern“ suchende Montenegro einen Stützpunkt an der Adria erobern. Lt. Medienberichten seien bereits Gespräche über eine russische Marinebasis in der südlichen Adriastadt Bar geführt worden. Als verlängerter Arm des russenfreundlichen Serbien, das eine Natomitgliedschaft angesichts der Natobombardierung 1999 bislang kategorisch ablehnt, wäre damit eine Demarkationslinie quer durch den Balkan bis zur Adria gezogen worden und hätte Putin eine strategisch wichtige Einflußsphäre gesichert.

 

Djukanovic, der geniale Pokerspieler

 

Daß die Rasierklinge, wie Djukanovic genannt wird, indes den „Joker Rußland“ bewußt einsetzte um sich dem westlichen Bündnis nicht als Bittsteller sondern als Umworbener zu präsentieren, darf vorausgesetzt werden.

Der heute 54-jährige, der seit über 25 Jahren wie ein Sonnenkönig sein Land regiert ist lt. Einschätzung des ehemaligen US-Botschafters William Montgomery der fähigste Politiker des Balkans, ….“ein genialer Pokerspieler, der aufgibt, wenn seine Gegner bessere Karten haben und gleichzeitig auf ein neues Spiel setzt.“

Keiner analysierte die Schwächen des Westens und dessen pragmatischen Umgang mit mangelnden demokratischen und rechtsstaatlichen Kriterien und fragwürdiger Pressefreiheit schneller als Milo Djukanovic. Indem er sich gleichzeitig als Garant für Stabilität im eigenen Land bewies, flammte Kritik an seinem autoritären Regierungsstil angesichts der panischen Angst des Westens vor erneuten Unruhen auf dem Balkan nur sporadisch auf. Es waren meist nur kurze Notizen, wenn Journalisten verprügelt , politische Morde nie aufgeklärt wurden oder bei einer Preisverleihung in Norwegen die Jury feststellte, …“der mutige montenegrinische Journalist habe gezeigt wie Montenegros Premierminister und seine Familienbank im Zentrum einer unheiligen Allianz von Regierung, organisierter Kriminalität und business stünden. Weit entfernt vom Modell eines EU-Kandidaten funktioniere Montenegro wie ein Mafiastaat.“

Vom Milosevic-Vertrauten zum US-Verbündeten

Wer also ist der smarte 1,89 große ehemalige Basketballspieler Milo Djukanovic, an dem nicht nur die Opposition wie ein Gummiball abprallt sondern der gleichermaßen Washington, Brüssel und Moskau mit seinen taktischen Kapriolen diplomatisch schlachmatt setzt?

1989 putschte sich der damals 27-jährige kommunistische Jugendfunktionär im Sog des Milosevic-Aufstiegs und mit dessen Segen in die Führung der montenegrinischen Nomenklatura. Nur wenige Monate nach seiner Wahl zum Premier 1991 beteiligte er Montenegro am Krieg gegen Kroatien und an der Bombardierung Dubrovniks. Doch noch bevor sein Mentor in Belgrad international geächtet wurde hatte der Waffenbruder aus Podgorica bereits die Reißleine gezogen. Er sah seine Zukunft nicht als Marionette Belgrads sondern als Alleinherrscher in einem unabhängigen Montenegro – ungeachtet der Drohungen der serbischen Armee, das kleine Küstenrevier – welches Belgrad als Teil seines eigenen Imperiums sah – in Schutt und Asche zu bomben.

Ein Sinneswandel – nicht ohne Absicherung. Die USA hatten mittlerweile den aufstrebenden Politiker angeworben. Er sollte als Verbündeter Washingtons eine entscheidende Rolle beim Sturz Milosevics spielen. Das Land der schwarzen Berge wurde zum Zentrum der Verschwörer. Hier trafen sich während der Sanktionen gegen Belgrad internationale Politiker mit der serbischen Opposition, US-Diplomaten übernachteten in den Gästehäusern der Regierung und US-Militärexperten bildeten die von 5000 auf 15 000 Mann aufgestockte montenegrinische Polizei zur quasi-Armee aus.

Djukanovic, als mutiger Demokrat gepriesen, erhielt als Gegenleistung großzügige Millionen-Hilfen für die am Hungertuch nagende Küstenrepublik.

Daß mit dem Sturz Milosevics am 5.10.2000 auch das Interesse der USA am Hilfs-Sheriff aus Montenegro sinken würde, hatte dieser längst vorausgeahnt. Washington wollte den in diplomatischen Kreisen als zu selbstsicher eingestuften Politiker sogar langfristig entthronen indem man die dortige Opposition stärkte.

 

Fehlkalkulation Europa

 

Zeit, sich nach neuen Verbündeten umzusehen: Den  Europäern. Ein Flirt, der schnell zum Desaster wurde. Denn die waren ganz und gar nicht von ihrer Rolle als Schubkraft für eine Unabhängigkeit der Republik begeistert. Man habe sich gegenseitig angebrüllt, beleidigt und bedroht, schilderte ein Beteiligter die Gespräche zwischen dem EU-Beauftragten Havier Solana und den montenegrinischen Politikern. Brüssel wollte Djukanovic überreden, die Idee der Unabhängigkeit ad acta zu legen und sich mit der neuen, demokratisch orientierten Regierung in Belgrad zu einigen.

Wer siegte, ist hinreichend bekannt. Djukanovic gab sich einsichtig, verzögerte dann jedoch die Verhandlungen mit Belgrad in einem Ausmaß, daß die Europäer resignierten und Montenegros Unabhängigkeit nach 3-jährigen Moratorium 2006 zustimmten.

 

Lukrative Ideen für das Staatsbudget

 

Ein letzter Versuch Washingtons und Brüssels, den mächtigen Herrscher an der Adria mit Anklagen über Zigarettenschmuggel, Geldwäsche und Menschenhandel zu kippen, scheiterte nicht minder kläglich. 2009 wurden allle Ermittlungen, trotz angeblich hinreichender Beweise, eingestellt. Um seine Macht auch ohne politische Immunität zu demonstrieren, hatte Djukanovic sogar von 2006 – 2008 eine „politische Auszeit“ genommmen, um in der Freien Wirtschaft sein mittlerweile angehäuftes Millionenvermögen zu legalisieren. 2008 kehrte er als Premier zurück und bewies sehr schnell, wie man finanzielle Quellen ohne gestraffte Arbeitsmoral erschließen kann.

Jeder Geschäftsmann, der 500 000 € in Montenegro investiert, erhält seither einen Paß des Landes, mit dem ihm die EU angesichts der Visafreiheit für montenegrinische Staatsbürger offensteht.

So wurde u.a. der gestürzte und wegen Amtsmißbrauch verurteilte ehemalige Thai-Premier Thaksin Shinawatra nach Zahlung einer millionenschweren Schutzgebühr in Montenegro eingebürgert.

Djukanovic-Freund Scheich Khalif bin Zayid Al Nahyan von Abu Dhabi versprach eine 2-Milliarden-Euro-Investition in Feriensiedlungen und 2 gigantische Hochhäuser. Der beantragte Beobachterstatus bei der Arabischen Liga soll weitere reiche Ölscheichs anlocken.

Auch China, so berichten die Medien, habe Montenegro als El Dorado für künftige Investitionen entdeckt. Der Bau einer Autobahn für 1,1 Milliarden $ sei geplant.

Und nicht zu vergessen, daß auch Milosevics Tochter Marija aus Protest gegen die Verhaftung ihres Vaters die serbische Staatsbürgerschaft gegen die montenegrinische eintauschte und seit 15 Jahren im montenegrinischen Cetinje lebt. Immerhin, ein moralisches Plus…

 

Moskau – der neue Verbündete

 

Den entscheidenden Trumpf gegen seine westlichen Kritiker und deren Absicht, sich seiner nach der Unabhängigkeit zu entledigen, hatte Djukanovic allerdings mit seinem politischen  salto mortale gen Osten gesetzt.

Schätzungen zufolge sind heute Dreiviertel des montenegrinischen Immobilienmarktes und 70 000 Appartements an der Küste in russischer Hand.

Russische Oligarchen residieren in luxuriösen Sommersitzen mit privatem Meereszugang, es entstanden russische Dörfer, russische Kindergärten, in den Schulen genießt „russisch“ als Fremdsprache höchste Priorität.

Die montenegrinische Zeitschrift „Monitor“ vom 3.10.2008 zitiert den russischen Oligarchen Deripaska mit dem Geständnis, …“Putin selbst habe ihn ermutigt, die Mehrheitsanteile von Montenegros größtem Alumiumkombinat KAP zu kaufen, da Rußland damit eine eigene Einflußsphäre im Mittelmeergebiet erhalten würde.“

 

 

Wer bietet mehr?

 

Die Reaktionen aus Washington und Brüssel folgten prompt: Versprochene Nato-Mitgliedschaft und EU-Beitrittsgespräche waren zweifellos auch für Djukanovic das lukrativere Patronat.

Mit einem salto rückwärts schloß sich der Polit-Jongleur 2014 den Sanktionen der EU gegen Rußland an. Putin wütete über den „Verrat“ des einstigen Schützlings und drohte, …“der Natobeitritt Montenegros werde ernsthafte Konsequenzen nach sich ziehen“.

Speerspitze des Kremlchefs soll die serbische Minderheit in Montenegro sein, die bisher heftig gegen die Natomitgliedschaft opponierte und ein Referendum forderte. Wie groß die Zahl der Nato-Gegner im Land tatsächlich ist läßt sich nur schwer einschätzen. Umfragen variieren zwischen 40 und 60 %. Grund genug für den Premier, ein Referendum vorerst zu vermeiden. Indem er große Teile der Opposition in diesen Tagen in eine Übergangsregierung integrierte und ihnen bis zu den Wahlen im Herbst sogar per lex specialis Ministerposten zuteilte, will er vermutlich nicht nur das angekündigte „Vertrauensklima“ für korrekte Wahlen schaffen. Der vorangegangene Streit der Opposition um künftige Ministerposten und deren erhoffte Kompromittierung in Regierungsverantwortung könnten die Bevölkerung einmal mehr überzeugen, sich Djukanovics Votum für einen Natobeitritt – sei es per Referendum oder mit Parlamentsbeschluß – anzuschließen.

 

Disziplin für das künftige Heer – gültig ab sofort

 

Daß er seines Sieges auch diesmal sicher ist, beweist der Polit-Magier, indem er für das künftige Nato-Heer bereits erste Vorschriften erließ: Verboten sind ab sofort lange Haare, Tatoos, Piercing oder Ohrringe. Rauchen in der Öffentlichkeit wird ebenso bestraft wie das Tragen von Sonnenbrillen bei Militärparaden und Zeremonien. Alle Soldaten müssen rasiert sein – selbst beim Ausgang. Im Gegenzug werden Privilegien wie Dienstwohnung und höherer Sold zugesagt – als Motivation, um auch Nato-Pflichten zu übernehmen. Ein Großteil der Armee hat nämlich bereits angekündigt, keinesfalls die warme Adria gegen mörderische Einsätze in Afghanistan, im Irak oder sonstigen Krisenherden dieser Welt zu tauschen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Allgemein, Politik, Serbien

40 Jahre Haft für Radovan Karadzic – doch der Geist ist noch lange nicht in der Flasche

 

 

Keine Zweifel für das Gericht: Karadzic wußte von den Massakern in Srebrenica

 

Seine Mine war versteinert, die Mundwinkel schmal nach unten gepresst als er das Urteil hörte. Fast schien es, als sei Radovan Karadzic für einen Sekundenbruchteil die Rolle des ruhmreichen Poeten, begnadeten Wunderheilers und genialen Polit-Jongleurs abhanden gekommen.

Vielleicht hatte er in seiner missionarischen Paranoia ja tatsächlich geglaubt, das landesweit immer noch gepflegte Mantra, man habe sich im Bosnienkrieg nur verteidigt und – falls serbische Verbrechen geschehen seien – habe er davon nichts gewußt, könne die Richter des Kriegs-Tribunals in Den Haag überzeugen. Doch die sahen es anders: 40 Jahre Gefängnis lautete das Urteil, das am Donnerstag nach 7-jähriger Prozessdauer gefällt wurde. Der ehemalige Kriegspräsident der bosnischen Serben, so die Begründung, sei nicht nur der Verbrechen gegen die Menschlichkeit und des Verstoßes gegen das Kriegsrecht überführt, sondern habe auch mit seinem Militärchef General Ratko Mladic bewußt die Vertreibung der Muslime aus der Enklave Srebrenica im Juli 1995  geplant und der Ermordung von bis zu 8000 muslimischen Männern zugestimmt bzw. diese wissend und stillschweigend inkauf genommen. Srebrenica war 1993 zur UN-Schutzzone erklärt worden. Nach dem Überfall der bosnisch-serbischen Armee flüchteten die dort stationierten holländischen Blauhelme und überließen damit muslimische Männer und Jungen der systematischen Ermordung durch serbische Soldaten, Sicherheitskräften und Freischärlern.

Dazu kommt die 1425 Tage dauernde Belagerung Sarajewos mit rund 10 000 Toten, als serbische Scharfschützen und Granaten die Stadt nahezu ausbluten ließen.

 

Mafiosi, Krimineller, Betrüger…

 

Doch wie konnte es passieren, daß ein bereits vor dem Krieg als Scharlatan bekannter Psychiater, ein krankhafter Spieler – der während des Kriegs im Spielkasino des Belgrader Hotels Jugoslavija oft Millionen Dollar in einer Nacht verzockte während der Sold seiner Soldaten nicht mal für eine Schachtel Zigaretten reichte, sein Volk wie Moses durch das Rote Meer führte? Es war wohl die verführerische Idee eines eigenen Staates, vielleicht sogar eines Großserbiens, die in weiten Teilen der Bevölkerung das kollektive Ziel über die Frage einer moralischen Reputation des Führers dominieren ließ.

 

Überleben konnte er nur durch Hilfe aus Belgrad

 

Unterstützt wurde Karadzic bei seinen nationalistischen Zielen nicht nur von den Serben Bosniens, die sich von einer muslimischen Mehrheit bedroht sahen. Ohne die Hilfe Serbiens und dessen 2006 in den Zellen des Haager Kriegstribunals verstorbenen ehemaligen Präsidenten Slobodan Milosevic wäre Karadzics Eroberungskrieg schnell gestoppt worden. Belgrad zahlte nicht nur den Sold der serbisch-bosnischen Offiziere im Nachbarland und rüstete deren Armee mit modernsten Waffen aus sondern leistete auch mit der eigenen Armee Hilfestellung, wenn den Brüdern Verluste auf dem Schlachtfeld drohten. Und es war Serbien, das auch nach dem Krieg und der Anklage gegen Karadzic vor dem Kriegstribunal in Den Haag dem Gesuchten Unterschlupf bot.

 

 

Die Pseudo-Jagd auf einen Kriegsverbrecher unter Staatsschutz

13 Jahre konnte der heute 70-jährige in Serbien untertauchen, obwohl ihn angeblich die internationale Gemeinschaft ebenso jagte wie der CIA und die serbischen Ermittler. Permanente Vorwürfe der damaligen Chefanklägerin des Tribunals, Carla del Ponte, Serbien wisse sehr wohl wo sich der Gesuchte verstecke, wurden mit Empörung aus Belgrad zurückgewiesen. Verhaftet wurde er erst am 27.7.2008 beim Versuch, aus seinem Versteck in Belgrad zu fliehen: als Wunderheiler mit langem Bart und zusammengebundenem Haarschopf, der jahrelang als „Dr.Dragan Dabic“ öffentlich aufgetreten war und Patienten vorzugsweise mit Pendeln und fernöstlichen Mythen behandelt hatte. Unerkannt trotz intensiver Suche? Aber nein. Während den damals ebenfalls flüchtigen serbischen General Ratko Mladic die serbische Armee vor seinen Häschern versteckte, war es bei Karadzic der Geheimdienst, der seinen Unterschlupf organisierte und ihn rechtzeitig vor Suchaktionen warnte. Erst ein Wechsel des Geheimdienstchefs hatte dem kuriosen Versteckspiel ein Ende bereitet.

 

Wird Karadzic als Held zurückkehren?

 

Doch ist mit dem jetzigen Urteil tatsächlich der Gerechtigkeit Genüge getan? Oder werden wir vielleicht in weniger als 10 Jahren zum Entsetzen der einstigen Opfer einen rüstigen Radovan Karadzic erleben, der wegen guter Führung, einer im Revisionsverfahren verminderten Strafe und der üblichen Reduzierung nach Absitzen von 2/3 der Gefängniszeit als Held in seine Heimat zurückkehrt? Erinnern wir uns nur an die beschämenden Bilder, als wegen Kriegsverbrechen verurteilte serbische Politiker und Generäle nach ihrer vorzeitigen Entlassung bei ihrer Rückkehr mit Jubel und Euphorie von der Bevölkerung empfangen wurden.

Karadzics beratende Anwälte, darunter der renommierte New Yorker Staranwalt Peter Robinson, wollen jedenfalls innerhalb von 30 Tagen Einspruch gegen das Urteil einlegen. Das Revisionsverfahren könne, so Robinson, bis zu 3 Jahre dauern. In dieser Zeit bleibt Karadzic weiter im Scheveninger Untersuchungsgefängnis mit weitreichenden Privilegien.

 

Im Westen Zufriedenheit, in der russischen Duma Empörung, in Serbien zurückhaltende Enttäuschung

 

Die internationale Reaktionen auf den Urteilsspruch reichen von Genugtuung im Westen bis zu empörten Tumulten in der russischen Duma nach Bekanntgabe des Urteils. Eine Solidarisierung, die wohl selbst der russischen Zeitung Komersant übertrieben schien. Ihr Kommentar: Die Russen müßten keine größeren Serben sein als die Serben selbst, man hätte in Rußland genug eigene Sorgen und brauche sich nicht noch die serbischen aufzuhalsen – zumal in Belgrad angesichts des erstrebten EU-Beitritts des Landes die Reaktionen weitgehend gemäßigt ausfielen.

In der Tat überwiegt in Belgrads Medien bisher zwar die bekannte Verschwörungstheorie, die dem Westen politische Motive bei der Verurteilung serbischer Angeklagter unterstellt und die Freisprüche des kroatischens Generals Ante Gotovina, des bosnischen Kriegskommandanten Naser Oric oder des Kosovo-Generals Ramush Haradinaj als beißende Ungerechtigkeit geiselt – doch geifernde Drohgebärden werden vorerst der Radikalen Partei und einigen wenigen Karadzic-Anhängern überlassen.

Immerhin, so der halbherzige Kommentar einiger Politiker, habe das Urteil gegen Karadzic die serbischen Bevölkerung von der Kollektivschuld befreit.

Premier Aleksandar Vucic besprach sich allerdings vor dem offiziellen statement seiner Regierung mit Patriarch Irinej und forderte diesen vermutlich zur diplomatischen Zurückhaltung auf. Große Teile der orthodoxen Kirche Serbiens zählten während des Kriegs zu den vehementesten Unterstützern von Radovan Karadzic. Wenige Wochen vor den anberaumten Parlamentswahlen in Serbien will Premier Vucic keine Unstimmigkeiten mit der Kirche riskieren, deren Meinung nach wie vor in der Bevölkerung großen Einfluß hat.

 

Es lebe die „Republik Srpska“

 

In der Republik Srpska in Bosnien war es ausgerechnet Karadzics Tochter Sonja, einst die rechte Hand ihre Vaters in dessen Kriegskabinett und mittlerweile Vizepremier(in) im Parlament der serbischen Entität, die dem Urteil des Tribunals Positives abgewinnen konnte. Schließlich sei die Republik Srpska definitiv nicht zum genoziden Staatsgebilde erklärt worden – ein weitreichender, politischer Erfolg. Denn nur mit dem Hinweis auf genozide Entstehung hätten Rechtsexperten eine Hintertür zur Auflösung dieses „serbischen Staats innerhalb des Staates Bosnien“ finden können. Zur Erinnerung sei angemerkt: Es war die internationale Gemeinschaft, die lange vor dem Friedensabkommen von Dayton, den bosnischen Serben trotz bekannter Kriegsverbrechen eine „Republik Srpska“ zugestand und somit ihre eigenen Drohungen, serbische Eroberungen nicht anzuerkennen, revidierte.

 

 

Kriegsverbrecher mit Heldenstatus

 

Ist das Urteil gegen Karadzic also wirklich eine Abschreckung an Diktatoren und Staatschefs, daß Verbrechen nicht ungesühnt bleiben? In Bosniens serbischer Entität spricht die Realität dagegen. Der Geist Karadzics erlebt hier nicht nur eine Renaissance, sein Widerstand gegen einen gemeinsamen und unitaren Staat Bosnien wird von der jetzigen Führung unter Milorad Dodik – einst erbitterter Gegner Karadzics – weitergeführt und von großen Teilen der serbischen Bevölkerung unterstützt. Straßen und Schulen schmücken sich stolz mit Karadzics Namen, Poster mit seinem Portrait hängen unbeanstandet in Amtsstuben und Restaurants, seine Kriegsverbrechen werden zwar öffentlich mit halbherziger Scham bereut – doch stets mit dem Hinweis, daß deren Zahl von der internationalen Gemeinschaft maßlos übertrieben sei (Karadzic sprach u.a. von ein paar Hundert Toten in Srebrenica) und alle 3 Kriegsparteien gleichermaßen Kriegsverbrechen verübt hätten.

Radovan Karadzic könnte sich deshalb schon bald in einer Rolle wiederfinden, die er sich erträumt hat: Als nationaler Held und Märtyrer , der sich für den gerechten Kampf seines Volkes als Kriegsverbrecher opferte …

 

 

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Serbien will Kriegsverbrecher rehabilitieren

 

 

Serbiens Sonderstaatsanwalt für Kriegsverbrechen lebt gefährlich…

Serbiens Elite-Einheit „Kobra“ bewacht ihn und rund um die Uhr. Er trägt stets eine Pistole bei sich und warnt mögliche Attentäter: Ich bin ein verdammt guter Schütze!

Daß sein Leben jemals von schnellfeuernden Guerillas abhängen könnte, hatte sich Vladimir Vukcevic allerdings nicht träumen lassen, als er 2009 den Job als serbischer Sonderstaatsanwalt für Kriegsverbrechen übernahm. Die Jagd von Kriegsverbrechern, egal ob vom Den Haager Kriegstribunal gesucht oder zur Anklage vor den einheimischen Gerichten, gehört seither zu seinem Alltag. Ich wollte Serbien den Weg nach Europa öffnen und das Land von der Kollektivschuld für begangene Kriegsverbrechen befreien, erklärt er seine Motivation, ..“ich wollte beweisen, daß diese Greueltaten von Individuen verübt wurden, die sich dabei auf ihren Patriotismus im Namen des Volkes beriefen.“ Eine Mission, die international hoch geachtet wurde, ihn im eigenen Land dagegen zum Verräter abstempelte. Vukcevic: „In jedem zivilisierten Land der Welt hätte man meiner Arbeit Respekt gezollt. Hier in Serbien wartet man nur darauf, meinen Rücken zu sehen. Das ist das Klima und meine große Enttäuschung nach all diesen Jahren.“

 

Verräter, Spion, Nestbeschmutzer…

Trotz verbalem Europa-Bekenntnis von Premier Aleksandar Vucic gewinnt die berüchtigte „patriotische Front“, bekannt als „Anti-Haager-Lobby“ immer beängstigerenden Einfluß im Land. Ihre Protagonisten versäumen keine Gelegenheit, der Bevölkerung systematisch die Benachteiligung serbischer Opfer bei der Strafverfolgung zu suggerieren. Mitten im Zentrum Belgrads, direkt vor dem Parlament, sind auf riesigen Plakatwänden Hunderte Fotos von Serben zu sehen, die während des Kriegs getötet wurden. Darunter in dicken lettern die Parole, daß „deren Tod niemand sühne“. Unterstützt wird die Hetzkampagne ausgerechnet von Serbiens Präsident Tomislav Nikolic. Das als russophil bekannte Staaatsoberhaupt beschimpfte Vukcevic nicht nur als amerikanischen Spion sondern warnte ihn auch im klassischen Unterweltjargon ….“er solle aufpassen, was er tue und was er künftig da ausgrabe“ Die unmißverständliche Drohung erfolgte nachdem Vukcevic im vergangenen Jahr ein Massengrab in Raska nahe der Grenze zum Kosovo öffnen ließ, in welchem Hunderte albanischer Leichen gefunden wurden. Serbische Sicherheitskräfte hatten die Albaner während des Kosovo-Konflikts 1998/1999 getötet, dann – um Spuren zu verwischen- aus dem Kosovo nach Serbien transportiert und dort verscharrt. Nikolics Forderung, Vukcevic sofort aus dem Amt zu feuern, wurde erst nach Protesten aus EU-Kreisen fallengelassen. Daß das Ende 2015 offiziell ausgelaufene Mandat des 65-jährigen nicht mehr verlängert wurde, überrascht so kaum. Als Nachfolgerin sollte eine 46-jährige Juristin ins Amt gehievt werden, die – so Vukcevic –eine Katastrophe für die Staatsanwaltschaft gewesen wäre und die neben ihrer Unfähigkeit vor allem Unterwürfigkeit gegenüber politischen Anordnungen auszeichne. Ein Attribut, das allerdings der gesamten serbischen Justiz auch Jahre nach dem Sturz Milosevics und der damit verbundenen demokratischen Wende anhaftet. Vukcevic protestierte, Brüssel intervenierte, die Nachfolge liegt vorerst auf Eis.

 

Wie verurteilte Kriegsverbrechern wieder zu Helden mutieren

Doch hinter den Kulissen wird längst neues Unheil ausgeheckt. Eine ungeheuerliche politische Manipulation sei imgange, warnt Vukcevic eindringlich: „Ein Heer angeblicher Rechtsexperten soll nun alle Verurteilungen von (serbischen) Kriegsverbrechern auf unwesentliche Formfehler die in keinem Zusammenhang mit der Urteilsfindung stehen überprüfen, um dann die Urteile nachträglich zu annullieren “

Die moralische Rehabilitierung verurteiler Kriegsverbrecher zeichnet sich seit langem ab. Was glauben sie, wie ich mich fühle, fragt Vukcevic verbittert, …“wenn sowohl unser Justizminister als auch der Verteidigungsminister den als Kriegsverbrecher verurteilten General Lazarevic, an dessen Verhaftung ich teilnahm, nach seiner Haftverbüßung persönlich in Den Haag abholen, ihm in der Heimat einen feierlichen Empfang organisieren und sagen: dieser General sei ein freier Mann und ein leuchtendes Beispiel wie man das Land verteidige. Hören Sie, dieser freie Mann ist ein Kriegsverbrecher. Und wie soll mich ein Justizminister mögen, der es als größtes Glück seines Lebens bezeichnet, daß ihm der in Haag als Kriegsverbrecher angeklagte General Mladic ein Stück Schokolade schenkte…!“

 

Prozesse verlängern, vertuschen, die Akten verschwinden lassen…

Lazarevic ist nur ein Beispiel von vielen. Egal, ob es sich um großzügige finanzielle Hilfen aus dem Staatsbudget für die als Kriegsverbrecher angeklagte Serben handelt oder deren VIP-Behandlung nach ihrer Rückkehr – angesichts der für Frühjahr geplanten Parlamentswahlen will sich keine Partei mangelnden Patriotismus vorwerfen lassen. Mit Tricks, die Rechtsstaatlichkeit vortäuschen, duckt man sich so geschickt vor Ungemach aus Brüssel. Verfahren sollen ins endlose verzögert werden, um die Angeklagten vor einer Strafe zu schützen. Dies sei kein Zufall sondern System, kommentiert Vukcevic die Strategie. Erst kürzlich erhielt er eine Anklage gegen 8 Serben zurück, die der Ermordung von über 1000 Muslimen in einer Lagerhalle in Kravice nahe Srebrenica 1995 beschuldigt werden (Vukcevic: das sind Mörder par excellence). Das Gericht verlangte, die Zahl der zivilen Opfer und Armeeangehörigen genau zu bestimmen – wohlwissend, daß diese Aufgliederung unmöglich ist. Als Vukcevic die geplante Obstruktion durchkreuzte, indem er angesichts fehlender Militärabzeichen und Waffen der Opfer diese zu Zivilisten erklärte, versuchte man ihm mit Hinweis auf sein offiziell abgelaufenes Mandat die Zuständigkeit zu entziehen.

 

Geheimdienste im Dienst des Verbrechens

 

Meine Arbeit war ein ständiger Kampf gegen die Politik , sagt der Mann, der in seinem blauen Anzug und dem kurzen, weißen Stoppelbart auf den ersten Blick fast unnahbar wirkt. Es fällt schwer, ihn zu charakterisieren. Manche werfen ihm Arroganz und übersteigertes Selbstbewußtsein vor – andere schildern ihn als Gerechtigkeits-Fanatiker, der ohne Rücksicht auf nationale Empfindlichkeiten Verbrechen verfolgt. Nur selten gestattet er sich emotionale Bekenntnisse wie den Hinweis auf Zeugenaussagen, die ihn bis an sein Lebensende verfolgen werden – etwa die Schilderung einer Mutter, deren zweites Kind vor ihren Augen getötet wurde, weil sie das im Rahmen der Kriegsplünderungen geforderte Lösegeld nur für 1 Kind aufbringen konnte.

Doch wie läßt es sich in einem Klima arbeiten, wo Politiker drohen, Polizisten regelmäßig Anklage-Akten in ihren Schubladen verschwinden lassen und der Geheimdienst auch Jahre nach Kriegsende Kriegsverbrecher warnt statt sie zu suchen und deren Flucht auch noch mitorganisiert? So manches Komplott, gesteht der 65-jährige, habe er erst viel zu spät aufgedeckt.

 

Wenn Karadzic therapiert und Mladic nicht erkannt wird….

 

Und einige Verhaftungen werden Vukcevic wohl auch wegen ihrer Tragikomik unvergeßlich bleiben. Die Festnahmen der beiden meistgesuchten Kriegsverbrecher Radovan Karadzic, dem Präsidenten der bosnischen Serben, und General Ratko Mladic zählen dazu.

Vukcevic: „Karadzic wurde am 21.Juli 2008 verhaftet. Aber wir hatten ihn schon Anfang Juni im Visier. Es war uns gelungen, von diesem mysteriösen Dr.Dragan David Dabic , der sogar öffentlich auftrat und Behandlungen durchführte, einen DNA-Abgleich zu nehmen. Dabei hatten wir festgestellt, daß es sich bei dieser Hollywood-Transformation tatsächlich um Karadzic handelte. Aber wir beobachteten ihn zunächst nur um festzustellen, ob er Kontakte zu Mladic oder anderen Angeklagten hatte. Als sich dies nicht bestätigte, entschlossen wir uns zur Festnahme. Wir wußten seit langem, daß der kürzliche ausgewechselte Geheimdienstchef Bulatovic der Maulwurf war, der die Haager Angeklagten seit Jahren warnte. Als drohten wir ihm mit einer Anklage gegen ihn selbst, fall der Zugriff fehlschlage.

Dennoch wurde Karadzic erneut gewarnt. Als wir ihn im Autobus verhafteten, war er gerade dabei zu fliehen. Er hatte das Nötigste in eine Reisetasche geworfen und sogar denen, die ihn warnten, noch seine Flucht mitgeteilt.“

Und stellen sie sich vor, sagt Vukcevic kopfschüttelnd, …“ als er bei uns zur Indentifizierung saß verlangte er nicht nur ein Glas Whisky sondern bot auch gleich meinem Stellvertreter an, ihn zu therapieren und seine Männlichkeit zu stärken.“

Auch die Suche nach Ratko Mladic, der sich 15 Jahre in Serbien verstecken konnte, wurde von offizieller Seite mit allen Mitteln verhindert. Wenn wir Informationen des Geheimdienstes, der Polizei oder aus Den Haag erhielten, sind wir manchmal um Mitternacht in Wohnungen eingefallen und haben dort nur erschrockene Ehepaare mit ihren Kindern vorgefunden. Die meisten Informationen waren falsch. Allerdings haben auch unsere Behörden riesige Fehler gemacht. Wir hatten das komplette Netz der Mladic-Helfer identifiziert. Dann hieß es plötzlich, daß sich Mladic selbst stellen werde. Aber er hatte es sich offenbar anders überlegt. Statt nun seine Helfer zu observieren und dadurch Mladics Aufenthaltsort zu finden, verhafteten wir sie und warnten damit Mladic.

Schließlich ist er uns ein weiteres Mal vor der Nase entkommen. Wir hatten einen Hinweis, er halte sich in einem kleinen Ort nahe Belgrad auf. Es gab dort 3 Häuser. Zwei davon durchsuchten wir. Beim dritten gaben sich unsere Beamten mit dem Hinweis zufrieden, der Besitzer sei nicht da und beriefen sich außerdem darauf, keinen Durchsuchungsbefehl zu haben. Hören Sie, diese Ausrede ist absurd und bedarf wohl keines weiteren Kommentars.

Mladic befand sich im obersten Stockwerks des 3. Hauses und beobachtete von dort das Geschehen. In dieser Nacht flüchtete er dann in ein anderes Versteck.“

Nicht minder kurios war seine Verhaftung am 26.Mai 2011. Alles war konspirativ und geheim, erinnert sich Vukcevic.

„Die Polizisten, die diverse Häuser durchsuchen sollten, wußten nicht, nach wem wir suchten. Als sie zu dem Haus kamen, in welchem sich Mladic versteckt hielt und die Türe aufstießen, stand jemand dahinter. Warum versteckst du dich, fragten sie den alten Mann. Der schwieg. In dem eher verwahrlosten Haus fand schließlich einer der Polizisten auf dem Tisch einen Personalausweis und wunderte sich: Da steht Ratko Mladic. Wer ist Ratko Mladic?, fragte er.

Ich, sagte der Mann mit der Baseballkappe, der abgemagert so gar nicht dem gesuchten Ratko Mladic ähnlich sah. Sie hatten ihn nicht erkannt.“

 

 

Fragwürdige Freisprüche auf Druck der Internationalen Gemeinschaft?

 

Doch während es Karadzic und Mladic wohl kaum gelingen wird, vor dem Kriegstribunal ihre Unschuld zu beweisen, kehrten zahlreiche Angeklagte nach mysteriösen Freisprüchen als „freie Bürger mit Heldenstatus“ in ihre Heimatländer zurück. Freisprüche, die Vukcevic zumindest „sehr, sehr überrascht“ haben. Direkte Kritik vermeidet er bewußt und weist auf seine hervorragende Zusammenarbeit mit dem Tribunal hin – selbst mit der streitbaren und in Serbien verhaßten ehemaligen Chefanklägerin des Tribunals, Carla del Ponte. Allerdings habe die Schweizer Staatsanwältin panische Angst gehabt, in Serbien vergiftet zu werden. Vukcevic mußte einmal sogar ihren Kuchen vortesten.

Nicht jeder hielt sich mit Kritik so bedeckt. Viele dieser Freisprüche, unter anderem gegen den kroatischen Kommandanten Ante Gotovina, seien unter massivem ausländischen Druck gefällt worden, behauptete 2013 der dänische Richter Frederik Harhoff. Er beschuldigte den ICTY-Präsidenten Theodor Meron, der habe auf Druck aus Washington Freisprüche in Revisionsverfahren erzwungen. Harhoff wurde umgehend suspendiert.

 

Zeugen riskieren ihr Leben

 

Die Achillesferse für zahlreiche fragwürdige Freisprüche liegt allerdings auch im Mangel an glaubwürdigen Augenzeugen. Überraschen sollte dies nicht, denn diese stehen – so sie gegen ihre eigenen Landsleute aussagen – aufgrund eines katastrophalen Zeugenschutzprogramms nicht selten schon mit einem Bein im Grab. Die zugesagte Anonymität ist meist Schall und Rauch. In der Heimat wird schnell die wahre Identität der „Verräter“ aufgedeckt. Zur Erinnerung: Während des Prozesses gegen den albanischen UCK-Kommandanten Ramush Haradinaj aus dem Kosovo wurden 19 Zeugen der Anklage entweder ermordet oder starben auf mysteriöse Weise. (Motto: warnen, bestechen, drohen, liquidieren). Haradinaj wurde mangels Beweisen freigesprochen.

 

 

Angst vor Rache haben vermutlich auch jene Zeugen, die Aufklärung über die mysteriösen Ereignisse im „gelben Haus“ geben könnten. Hier sollen in einem kleinen Dorf in Nordalbanien Serben, Romas und mit Serben sympathierenden Albanern Organe entnommen und mit Flugzeugen in den Nahen Osten transportiert worden sein. Die Opfer seien nach Ende der Nato-Bombardierung 1999 aus dem Kosovo nach Albanien verschleppt worden, behauptet Vukcevic. Sowohl UN-Ermittler wie auch der später engagierte Schweizer Europaratsabgeordnete Dick Marty hatten zwar den Verdacht erhärtet – bei der Zahl der Opfer klaffen allerdings die Zahlen weit auseinander. Während Vukcevic nach Anhörung von über 500 Zeugen von 200 – 300 Getöteten spricht, wollen Marty sowie der später noch im Auftrag der EU ermittelnde US-Staatsanwalt Clint Williamson allenfalls Hinweise auf eine Handvoll Opfer haben. Wie glaubwürdig die Zeugen sind , von denen einige vermutlich an den Verbrechen selbst beteiligt waren, darüber sind sich die Experten ebenalls nicht einig. Ihre vor den Ermittlern gemachten Aussagen wollen sie jedenfalls aus Angst vor Verfolgung vor Gericht nicht wiederholen.

 

 

Statt Versöhnung – Radikalisierung

Zugegeben, es nicht allein Serbien, in welchem Nationalismus unter dem Deckmantel des Patriotismus erneut an Popularität gewinnt. Ein politischer Rechtsruck scheint derzeit den gesamten Balkan im Griff zu haben. Die Töne zwischen den ehemaligen jugoslawischen Republiken verschärfen sich jedenfalls. Seit in Kroatien die ehemalige „Tudjman-Partei“ HDZ erneut Regierungspartei ist, wetteifern offenbar Nationalisten um erneute Aufmerksamkeit. Der Kultusminister will mehr patriotische Filme im Fernsehen sehen, der für Kriegsveteranen zuständige Minister Mijo Crnoja forderte gar ein Register für Staatsverräter – Kroaten die während des „Vaterlandkriegs“ die damalige Kriegsstrategie kritisierten. Er mußte mittlerweile zurücktreten.

Hunderte von Zeugen aus Kroatien sind lt. Vukcevic für ihn „nicht aufgreifbar“, da sie von der dortigen Regierung unter dem Vorwand geschützt werden, ..“dies könnte die nationale Sicherheit gefährden.“ Ermittlungen über die Vertreibung von schätzungsweise 200 000 Serben aus der kroatischen Krajina im August 1995 und dabei begangene kroatische Verbrechen können damit kaum verfolgt werden.

Kroatische Ermittlungsbehörden beklagen allerdings im Gegenzug nicht minder serbische Ignoranz bei der Erfassung von Verdächtigen aus Serbien.

 

In Bosnien hat das nationale Kriegsverbrechergericht, das die vom Haager Kriegstribunal nicht mehr zu bewältigenden Verfahren übernehmen sollte, die Erwartungen nicht erfüllt. Tausende von Strafverfahren sind anhängig, die Justiz ist großenteils unfähig und politisch abhängig. Verfahren gegen bosnisch-muslimische Täter sind selten und internationale Studien beklagen eine Verwässerung der Vorwürfe. Viele Täter werden dehalb auch weiterhin ein freies Leben genießen, oft in unmittelbarer Nachbarschaft zu ihren einstigen Opfern.

 

Zum flop könnte auch ein in Den Haag neu gegründetes Sondergericht für die Verbrechen der albanischen Befreiungsarmee UCK werden. Es soll ab diesem Jahr die Verbrechen der UCK an ethnischen Minderheiten und politischen Gegnern während der Jahre 1999/2000 klären – darunter auch den angeblichen Organhandel. Medien spekulieren, daß sich unter den Verdächtigen zahlreiche hochrangige Politiker des Kosovo befinden. Skepsis ist indes angebracht. Die Betroffenen, unter ihnen der selbst vom BND als Politiker mit Verbindungen zu Mafiastrukturen charakterisierte derzeitige Außenminister des Kosovo, Hasim Thaci, dürften wohl keine Mühe scheuen, ihre Unschuld mit bewährten Mechanismen abzusichern. Thaci bewirbt sich zwischenzeitlich um das Amt des Präsidenten, von dem er sich u.a. politische Immunität erhofft.

 

 

Ein neuer Balkan-Krieg?

Hat Deutschlands Bundeskanzlerin Angela Merkel recht, wenn sie vor einem neuen Balkankrieg warnt – womöglich ausgelöst durch die Flüchtlingskrise?

Vukcevics Antwort ist ein kategorisches „Nein“.

Und doch wirkt er nachdenklich, wenn er von seinem Vater erzählt, der ihn lange vor dem Zerfall Jugoslawiens warnte, die Jugend würde all das was die Alten blutig aufgebaut hätten, zerstören. Er habe es damals jedenfalls für puren Unsinn gehalten.

Vielleicht liegt darin das Motiv des 65-jährigen, warum er auch nach Ende seines Mandats weiter Kriegsverbrecher jagen wird. Sein künftiger Job ist ein regionales EU-Projekt. Juristen aus allen ehemaligen jugoslawischen Republiken sollen hier zusammenarbeiten, um ein Netzwerk an Informationen und Daten zu sammeln, dem kein Verbrecher mehr durch einfachen Wechsel seines Aufenthaltsortes entfliehen kann.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Noch 28 Jahre bis zum Kalifat-Staat Europa?

Eine bulgarische Wahrsagerin mit beeindruckender Trefferquote prophezeit den Vormarsch des Dschihad nach Europa

Burka für die Frauen – das Schwert für die Männer im Kampf gegen Andersgläubige! Glaubt man den Prophezeiungen der 1996 verstorbenen bulgarischen Wahrsagerin „Baba Wanga“ (Großmutter Wanga) dann wird Europa ab 2043 unter muslimischer Herrschaft stehen. An sich ein Katastrophenszenario, das man beruhigt in den Bereich Science fiction ablegen sollte. Wäre da nicht eine irritierende – angeblich wissenschaftlich bewiesene – 80 %-ige Erfolgsbilanz der Prophezeiungen der Visionärin, die als einzige Wahrsagerin der Welt sogar vom bulgarischen Staat eine Staatsrente als Orakel erhielt.

So soll sie u.a. das Erdbeben in Skopje 1963 vorausgesagt haben, den Prager Frühling 1968, die Katastrophe von Tschernobyl, die Bombardierung Belgrads, den Tod Aldo Moros und bereits 1989 die Ereignisse vom 11.9.2001 in NewYork mit den Worten prophezeit haben: Schrecklich! Schrecklich! Die amerikanischen Zwillinge werden fallen, nachdem sie von eisernen Vögeln angegriffen werden.

Doch nicht immer trafen die Vorhersagen ein. Der für 2010 angekündigte Ausbruch des 3. Weltkriegs blieb aus. Der Kalifenstaat wird es vermutlich und hoffentlich auch.

 

 

Mein Besuch bei Wanga – Würfelzucker erwünscht

Ich wollte mich selbst von der sagenumwobenen Hellseherin im Dorf Rupite nahe der Stadt Petritsch an der bulgarisch/griechischen Grenze überzeugen.

Silvia, die begleitende Dolmetscherin, forderte mich am Tag vor unserer Abreise auf, nachts ein Stück Würfelzucker unter mein Kopfkissen zu legen: dies sei obligatorisch. Wanga empfange auf diese Weise die Energie, um in meine Zukunft zu sehen. Ich verzichtete trotzdem auf solchen – wie es mir schien – „Hokuspokus“.

Auf der ziemlich holprigen Fahrt Richtung griechischer Grenze erfuhr ich, daß die 1911 in Mazedonien geborene Ewangelia Pandewa Guschterowa – später Baba Wanga – erst im Alter von 12 Jahren erblindete, als sie von einer Orkanböe in die Luft geschleudert wurde und tief eingegraben im Sand wieder gefunden wurde. Wie sie im Alter von 16 Jahren ihre parapsychologischen Fähigkeiten entdeckte, wird von zahlreichen Buchautoren, Filmemachern oder in Zeitungsfeuilletons recht widersprüchlich geschildert. Mal wird sie mit der Aussage zitiert, mit unsichtbaren Wesen zu kommunizieren und von der Existenz außerirdischer Wesen auf der Erde überzeugt zu sein, mal soll ihr nach dem Unfall ein Engel verkündet haben, sie werde trotz ihrer Blindheit die Geheimnisse der Seelen anderer Menschen sehen können.

 

Eine Bauersfrau versetzt das Politbüro in Panik

 

Ihren kometenhaften Aufstieg in einem erzkommunistischen Bulgarien soll Wanga jedoch dem seinerzeit berühmten Professor Dr. Georgi Lozanow verdanken, erzählt Silvia. Bis dahin hätte sich die Seherin vor allem einen Ruf als hilfreiche Ermittlerin der Polizei bei unaufklärbaren Morden erworben. Lozanow, der Erfinder des Sprachen-Lernprogramms „Superlearning“ (mit quasi-hypnotischer Musikuntermalung) und Erforscher parapsychologischer Phänomene habe seine „Entdeckung“ stolz auf einer Sitzung des Politbüros den Genossen präsentiert. Kollektive Panik sei das Resultat gewesen. Die Bauersfrau habe nicht nur präzise die Abgründe der Genossenseelen durchleuchtet, sondern auch geplante, aber vermeintlich geheime politische Aktionen vorausgesehen . Fähigkeiten, die im Kommunismus eher ein Freifahrtsschein ins Grab als in die Heldengalerie waren. Nicht so in Bulgarien. Dort ermordete man zwar Regime-Gegner, doch Übersinnliches, fernöstliche Sekten und Gurus genossen dank Kulturministerin Ljudmila Zhivkova, der Tochter von Diktator Zhivkov, staatliche Privilegien.

 

Seancen für Leonid Breshnew und Indira Ghandi

Wangas Blick in die Zukunft faszinierte nicht nur Ljudmila. Rupite bei Petritsch wurde für die bulgarischen Spitzenfunktionäre ebenso Pilgerstätte wie für Staatschefs und hochrangige Militärs aus aller Welt , die sich dank Wanga einen Blick in die eigene politische Zukunft und mögliche Gefahren für ihre Macht erhofften, unter ihnen auch Leonid Breshnew und die indische Premierministerin Indira Ghandi.

 

 

..wenn Visionen zur Gefahr werden

Doch dann geschah das Unerwartete. Als sei die Euphorie um die einfache Frau mit dem Röntgenblick in die Zukunft nur ein Spuk gewesen, verschwand sie über nacht aus den Medien und aus der Erinnerung der Genossen. Nein, er habe nie eine Baba Wanga gekannt, antwortete selbst Professor Lozanow auf die Frage nach seiner einstigen Entdeckung . Soldaten bewachten ihr bescheidenes Häuschen in Rupite und verhinderten jeden Kontakt. Sie sei nach einem Hirnschlag unzurechnungsfähig, lautete die offizielle Begründung. Auch Ludmila hatte ihre Besuche eingestellt. Eine Vorhersage habe sie verärgert, munkelte man in der Bevölkerung. Ob Wanga ihr den frühen Tod mit nur 39 Jahren prophezeit hatte? 1981 starb Ljudmila Zhivkova jedenfalls bei einem mysteriösen Verkehrsunfall.

Daß allerdings auch Sofias Machthaber die Prophetin jahrelang isolierten dürfte schwerwiegendere Gründe gehabt haben – möglicherweise die zunehmende Distanz der Wahrsagerin zum Kommunismus. Dem räumte sie, auch gegenüber ausländischen Besuchern, immer weniger Überlebenschancen ein. Der Sowjetunion prophezeite sie sogar den baldigen Zerfall.

 

Seherin – vermutlich mit Auflagen

Als die Prophetin schließlich wieder offiziell in die Zukunft der Welt blicken durfte, geschah dies unter staatlichem „Protektorat“. Uniformierte patroillierten rings um Wangas Häuschen mitten in Wiesen und Feldern, ein sog. „Pressechef“ erfaßte vor Ort die Namen der Ratsuchenden in einer Liste. Daß auch Mikrofone deren Sorgen – insbesondere wenn es sich um die erneut anreisenden internationale Klientel handelte – an relevante Staatsorgane transferierten, bedurfte angesichts der kommunistischen Diktatur im Land sicher keiner ausschweifenden Phantasie.

Die Warteschlange vor dem Haus umfaßte an diesem Tag vielleicht 20 – 30 Personen. Im Viertelstunden-Intervall wurden die Besucher in das kleine Zimmer gerufen, wo Wanga vor einem schmalen Holztisch saß – bereit, sich die nächsten Sorgen anzuhören. Als ich sie um einen allgemeinen Blick in die Zukunft bat, blickte sie auf, sah mich überrascht an und sagte: Sie sind nicht gekommen, weil sie Probleme haben. Zum erstenmal entdeckte ich einen fast fröhlichen Ausdruck auf ihrem Gesicht, das bis dahin müde und versunken nach unten gestarrt hatte. Sogar zu ein paar Scherzen war sie bereit, offenbar dankbar, für ein paar Minuten den Seelendoktor vergessen zu dürfen. Um ihre Zeit nicht ganz unnütz zu verschwenden, bemühte ich mich in aller Eile um ein paar Ersatz-Sorgen. Meine Tochter leidet unter Allergie, sagte ich. Das wird in kurzer Zeit vorbei sein, winkte sie ab. Die größeren Sorgen würde ich dagegen mit meinem Sohn haben. Warum? frage ich erstaunt. Er werde sich erst langsam in der neuen Schule zurechtfinden. Zugegeben, es stellte sich später als treffend heraus. Zufall nicht ausgeschlossen.

Und die Zukunft der Welt? Vielleicht waren es die Soldaten rings um das Haus, die ihr an diesem Tag den globalen Blick in die Sterne trübten. Nur Serbien prophezeite sie eine düstere Zukunft und geriet dabei fast in rage. Ich argwöhnte zunächst, ihre mazedonischen Herkunft habe die Vision unbewußt beflügelt. Mazedonien lag zu diesem Zeitpunkt in Dauerkonflikt mit Belgrad.

Vielleicht hatte sie aber auch nur die Unausweichlichkeit einer solchen Entwicklung geahnt – lange lange vor der Bombardierung Serbiens durch die Nato 1999, lange vor Milosevics Sturz und dessen Auslieferung an das Haager Kriegstribunal.

 

Wahrsager in Staatsdiensten

 

Wanga, der mittlerweile ein Museum in Petritsch gewidmet ist, war vermutlich die populärste „baba“ , zu deren „Kunden“ gleichermaßen Diktatoren wie westliche Politiker zählten – und doch war sie nur eine von vielen Zukunftsdeuterinnen, die durch ihre Prophezeiungen die Entscheidungen der Mächtigen beeinflußten.

So ist bekannt, daß der jetzt vor dem Haager Kriegstribunal angeklagte ehemalige bosnische Serbenführer Radovan Karadzic keine Schlacht ohne den Segen der Wahrsagerin „Baba Stane“ aus dem bosnischen Bijeline begann und deren Rat zufolge die einzunehmenden Ziele stets vorab mit Kreuzen absteckte. Gab es Niederlagen so führte er diese stets auf die von seinen Soldaten vergessene bzw. unkorrekt vorgenommene Grenzziehung zurück.

Auch Slobodan Milosevics Ehefrau, die Erzkommunistin Mira Markovic, hatte in Indien eine dort berühmte Wahrsagerin aufgesucht um die Chancen ihres Gatten bei den bevorstehenden serbischen Wahlen zu erfragen.

Und zahlreiche hochrangige Belgrader Generäle war lt.glaubwürdigen Zeugenaussagen von Oberst Ljubodrag Stojadinovic felsenfest überzeugt, von Außerirdischen kontaktiert zu werden und deren Hilfe beim Kampf gegen den Rest Jugoslawiens zu erhalten.

Eine Reihe, die sich noch lange fortsetzen ließe…

Denn der Faszination des Übersinnlichen konnten nur wenige Eliten widerstehen, vor allem in den kommunistischen Diktaturen.

Doch man rotierte dabei um einen engen Kreis von Propheten, deren visionäre Erfolgsbilanzen selbst Wissenschaftler verblüfften und deren Verschwiegenheit gewährleistet war.

 

Fürs Volk die Scharlatane

Dem abergläubischen Volk überließ man dagegen die Hundertschaften einheimischer Kaffeesatz-Leser, Sternedeuter und Geistesflüsterer.

Gewiß nicht selbstlos.. Denn der Glaube der Bevölkerung an die Weissagungen aus dem Jenseits bot auch der politischen Propaganda ungeahnte Perspektiven. Viele von den Medien protegierten Weissager waren gleichzeitig verdeckte Stasi-Mitarbeiter oder willige Sympathisanten , die kurz vor den Wahlen in allen Medien mit ihren „Vorhersagen“ zugunsten der aktuellen Machthaber zitiert wurden. Und, dies sei am Rande erwähnt, während des Jahres gerne auch Diplomaten und deren Ehefrauen (oder Freundinnen) als Seelendoktor dienten und so die Dossiers der Geheimdienste nahezu zum Nulltarif bereicherten.

Das „Phänomen Wanga“ wollen Wissenschaftler jetzt erneut unter die Lupe nehmen – vor allem die Präzession ihrer Vorhersagen. Kritiker bemängeln die teils allgemein gehaltenen Umschreibungen der Ereignisse, die sich später auf die konkreten Katastrophen übertragen ließen. Dem gegenüber stehen nahezu unmißverständliche Hinweise, wie etwa auf die dramatischen Ereignisse vom 11.9.2001 in NewYork, die sich kaum mit dem Zufallsgenerator begründen lassen. Am Ende wird wohl – wie stets bei der Vermessung des Übersinnlichen – das Resümmee stehen: Man kann es glauben – oder auch nicht.

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Was Tito und Willy Brandt im April 1973 auf der Insel Brioni tatsächlich vereinbarten…

Was Tito und Willy Brandt im April 1973 auf der Insel Brioni tatsächlich vereinbarten…

Kredit für die „Hypothek aus der Vergangenheit“

„Streng vertraulich“ steht auf den meisten Dokumenten im dem Ordner mit der Aufschrift „W. Brandt und Tito“, verwahrt im Belgrader „Archiv Jugoslawien“. Enthalten sind weit mehr als 100 Protokolle, Kommuniques und interne Notizen mit zahlreichen, bislang unbekannten Details zum ersten Besuch eines deutschen Bundeskanzlers in Jugoslawien (16.-19.1973). Die sogenannte „Brioni-Formel“, eine als Staatsgeheimnis gehütete Vereinbarung zwischen Tito und Willy Brandt auf der Insel Brioni, hatte Jahrzehnte Spekulationen in deutschen wie jugoslawischen Medien angeheizt, Brandt habe dabei Jugoslawiens Reparationsforderungen durch einen Milliardenkredit beglichen. Die Dokumente des jugoslawischen Archivs bestätigen dies.

„Brandt habe bei seinem Besuch und in Gesprächen mit dem Präsidenten der Republik prinzipielle Übereinstimmung über die Art und Weise erzielt wie man die Probleme der Kriegsentschädigung lösen könne“, steht in der vertraulichen Note mit welcher Außenminister Milos Minic seine Regierung über den erzielten deal später informierte. Gleichzeitig habe der Bundeskanzler aber um die diplomatische Formulierung gebeten, ..“man wolle offene Fragen aus der Vergangenheit durch langfristige Zusammenarbeit auf wirtschaftlichem wie auch auf anderen Gebieten lösen.“ Die deutsche Seite, so ein weiteres Dokument, habe damit die Hypothek der Vergangenheit als abgeschlossen erachtet.

Gezetere, Gefeilsche, Flüche

Doch so harmonisch das Treffen zwischen Tito und Brandt auch verlaufen war, möglicherweise auch Titos berühmtem Weinkeller auf Brioni geschuldet, was folgte war ein bürokratischer Albtraum. Brandts Vorpreschen in Sachen „Kriegsentschädigung“ war in Bonn auf wenig Begeisterung gestoßen. Also mußte der Kredit so wasserfest präzisiert werden, daß jeder Verdacht einer klammheimlichen Reparationszahlung vermieden wurde und keine Begehrlichkeiten anderer Staaten nach sich zog. Fast 20 Monate feilschten die Unterhändler beider Länder um die Bedingungen der versprochenen Kapitalhilfe. Die Deutschen obstruierten mit ihrem dreist-sturen Verhalten permanent den Geist der Brioni-Vereinbarung“, klagten die jugoslawischen Kommunisten. Die dabei von beiden Seiten eingesetzten taktischen Manöver grenzten durchaus an politische Erpressung. Selbst Titos Besuch in Deutschland vom 24.-27.6. 74 vermochte das Eis nicht zu brechen.

Wenig Optimismus vor Brandt-Besuch

Dabei hatte Belgrad ursprünglich wenig Hoffnung gehegt, Brandt werde das Thema „Kriegsentschädigung“ bei seinem Besuch überhaupt ansprechen. Die im Juni 1962 von Jugoslawien offiziell als Kriegsreparation geforderten 2 Milliarden DM waren von der Bundesregierung stets mit dem Hinweis abgelehnt worden, man solle dankbar für die gebotenen 100 Millionen DM und einen zugesagten 300 Millionen-DM –Kredit sein – zumal dieses Angebot die Zusagen an andere westliche Länder bei weitem übersteige. Die deutsche Seite (Protokoll vom 14.4.1973) habe außerdem darauf hingewiesen, daß sich 50 % der heutigen BRD-Bürger nicht mehr an den Krieg erinnern könnten und die im Parlament vertretenen 30-jährigen und jüngeren keinen Impuls für eine Entschädigung an Jugolawien verspürten. Dennoch glaubte man in Belgrad einen Schwachpunkt in der rigorosen Bonner Politik entdeckt zu haben – und der hieß Willy Brandt. Weil Bonn die jugoslawische Seite permanent aufforderte, das Problem der Kriegsentschädigung keinesfalls mit dem Besuch des Bundeskanzlers zu verbinden, protokollierten die schlauen Polit-Analytiker im jugoslawischen Außeninisterium: Die fürchten, Brandt könnte Zugeständnisse weit über dem vorgesehenen Limit machen.

Ohne Hut mit langem Rock

Wenn auch keine politischen Gipfelstürme zu erwarten waren, so wollten Titos Genossen im Rahmen des Brandt-Besuchs zumindest einen Prestige-Erfolg als zunehmend westlich orientierter Staat erreichen.

Also widmete man sich ausgiebig Protokollfragen, die im kommunistischen Jugoslawien den Tiefgang von Dossiers besaßen. Nichts sollte dem Zufall überlassen werden. Brandt wolle nicht früh arbeiten, bevorzuge Campari und Gin Tonic, Zigaretten seien nicht erwünscht, steht im Dokument 43978 vom 8.2.73 der II.Abteilung des Außenministeriums. Außerdem bitte die deutsche Seite, auf Museumsbesuche für Frau Rut zu verzichten. (Die serbische Volksbibliothek blieb ihr dennoch nicht erspart).

In Protokoll 51 vom 10.4. wird das Tragen von Hüten für die Ehefrauen der Funktionäre nicht empfohlen, da auch Frau Brandt stets hutlos sei. Wünschenswert sei dagegen das Tragen langer Röcke beim Abendessen (Frau Brandt trage immer lange Röcke). Die Deutsche Botschaft forderte zudem nähere Erkläuterung, wenn auf der Liste der Abendgäste der Name einer Frau neben einem Witwer oder Unverheirateten stehe.

Geradezu verzweifelt wurde auch nach einer Datscha gesucht, nachdem Brandt den Wunsch geäußert hatte, mit Frau Rut und Sohn Matthias,11, nach den offiziellen Gesprächen bis zum 25.4. noch einige Tage Osterurlaub beim Fischen an der Küste zu verbringen. Die meisten Objekte wurden nach wenigen Tagen wieder aus Sicherheitsgründen verworfen. Wie sollte man auch Brandts Wunsch nach Intimität nachkommen, ihm das Gefühl eines zwangslosen und freien Aufenthalts suggerieren und gleichzeitig seine Kontakte kontrollieren? Zweifellos fand man eine Lösung.( In den Protokollen des Staatsarchivs läßt sich jedenfalls genau nachlesen, wann der Gast in seinem Osterdomizil in Kupari südlich von Dubrovnik den Fernseher ausschaltete und wie er seine Tage verbrachte. )

…“Ein Skandal: den interessiert unsere Innenpolitik!“

10 Tage vor Brandts Ankunft am 16.April wars mit dem Wohlfühlklima und der Etikette dann allerding vorbei, man geiferte im Jargon des Klassenkampfes.

Anlaß für den Eklat war Brandts Forderung gewesen, zum Abendessen in Belgrad auch zwei „alte Freunde“, die ehemaligen Minister Nikezic und Tepavac einzuladen. Beide hatten 1972 auf Veranlassung Titos wegen ihres liberalen Kurses ihre Ämter verloren.

Jugoslawiens Premier Dzemal Bijedic warnte Brandt entrüstet ( Notiz vom 5.4.73) vor der „Einmischung in die inneren Angelegenheiten Jugolawiens“.

War es ein politischer fauxpas oder wollte der Kanzler das demokratische Klima des Gastgeberlandes testen?

Jedenfalls mußte er nach vergeblichem Protest klein beigeben und sich mit Grüßen auf einer diskret von einem Chauffeur an die beiden „Freunde“ übermittelten Visitenkarte begnügen.

Entgegen allen Erwartungen: schnelle Einigung mit Tito

Am 18. April traf Brandt auf Brioni ein, wo ihn der seit 1953 als jugoslawischer Staatschef amtierende Josip Broz Tito, Partisanenführer während des 2. Weltkriegs, bereits erwartete. Es war nicht das erste Treffen der beiden Staatsmänner, die keinen Hehl aus ihrer Sympathie füreinander machten. Nach kurzem politischen smalltalk – etwa Brandts Klage über die mangelnde Flexibilität der israelischen Ministerpräsidentin Golda Meir – soll der Kanzler lt. jugolawischen Aufzeichnungen unmittelbar die Frage der Kriegsentschädigung angesprochen haben: „Man müsse offen darüber reden und könne weder in die Vergangenheit zurückkehren noch diese unter den Teppich kehren.“

Er, Brandt, habe eine Formulierung gefunden, die ein prinzipielles Einverständnis über eine Lösung ausdrücke und von beiden Seiten akzeptabel sei.

Die klar zum Ausdruck gebrachte Kompensation durch Kredite/Kapitalhilfen/ (lt. jugoslawischer Statistik schuldete das Land per 31.12.1972 allein der BRD 2,102 Milliarden $) ließen Tito angesichts der katastrophalen Wirtschaftslage seines Landes vermutlich auch wenig Chancen einer Ablehnung. Zudem hoffte der Marschall noch auf weitere Hilfe Deutschlands, sein leeres Haushaltbudget zu füllen. Brandt sollte die Bundesregierung überzeugen, daß die auf deutschen Sparkonten gebunkerten Milliarden DM der rund 600 000 in Deutschland lebenden jugoslawischen Gastarbeiter nach Jugoslawien transferiert würden – als Kredite für die jugoslawische Wirtschaft und einer Zusicherung an die Landsleute, sich damit bei ihrer Rückkehr in die Heimat selbst einen Arbeitsplatz zu sichern.

Bei der von Brandt geforderten „Gegenleistung“, nämlich das Problem der Kriegsgräber für die deutschen Gefallenen im 1. und 2. Weltkrieg zu lösen, zeigte sich Tito nicht kompromißbereit. Hier möge die Bundesrepublik warten, bis die jugoslawische Bevölkerung dafür Verständnis zeige, befand er kurz und bündig.

1 Milliarde DM für Kriegsschäden der deutschen Wehrmacht

Weitere 7 Monate vergingen, bis am 16. November 1973 Tito von Brandt mündlich darüber informierte wurde, „daß die BRD Jugoslawien im Namen einer Kompensation für die Entschädigung der Opfer des deutschen Naziregimes einen Kredit in Höhe von 700 Millionen DM bewillige. (Schreiben des jug.Außeministeriums vom 13.5.74). Der Zinssatz betrage 2 %, die Laufzeit 30 Jahre mit 10 Jahren Rückzahlungsfreiheit und Auszahlungsraten von 1974 – 1977. Unter Berücksichtigung des bereits 1972 genehmigten und 1973 ausgezahlten Kredits über 300 Millionen DM betrage die Insgesamt-Kapitalhilfe somit 1 Milliarde DM.

Als Auflagen für die Abrufung der restlichen 700 000 DM durch die jugoslawische Volksbank bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau in Frankfurt wurden festgelegt, daß

mindestens 350 Millionen DM zur Finanzierung konkreter Projekte für die Wirtschaftsentwicklung und die Infrastruktur des Landes verwendet würden sowie bis 350 Millionen DM für Warenimporte aus Deutschland, wobei Industrieerzeugnissen aus Berlin Priorität einzuräumen wäre. Vor der Auszahlung jeder neuen Tranche müsse Jugoslawien jedoch die projektbezogenen Ausgaben für die vorherigen Kredittranchen glaubwürdig nachweisen.

Empörung über die Fußfesseln des Kredits

Eine Ladung Dynamit hätte die ohnehin gespannte Athmosphäre wohl kaum nachhaltiger erschüttern können. Zutiefst empört über solche Vertragsfesseln, die dem „tatsächlichen politischen und ethischen Inhalt des Kredits widersprächen“ (Brief von Außenminister Milos Minic vom 5.10.74 an die jug.Regierung) beharrte Belgrad auf der alleinigen Kompetenz über die Verwendung des Kredits. Auch der von Brandt gleich an erster Stelle der Vereinbarung geforderte Hinweis, der Kredit sei auf der Basis freundschaftlicher Beziehungen erfolgt, welche beide Seiten aufrecht erhalten und weiter entwickeln wollten, mißfiel Belgrad gründlich. Schließlich sei der tatsächliche politische Inhalt der Kapitalhilfe die Kriegsentschädigung. Und dies wollte man auch unmißverständlich erwähnt wissen. Nicht minder verärgert zeigte sich die jugoslawische Regierung über die Klausel, Berlin als Handelspartner zu bevorzugen. Dies drücke ein einseitiges Interesse der BRD aus und entspreche nicht dem Standpunkt Jugolawiens zum Berlin-Problem. Zwar waren die Beziehungen zur DDR abgekühlt und zu Moskau nicht euphorisch – doch eine Brüskierung beider ideologischen Verbündeten wollte Tito nicht riskieren. Man drohte mit einem Aide memoire, das die Differenzen hinsichtlich des Berlin-Status ausdrücken sollte.

Entwarnung: Macht mit dem Geld was ihr wollt!

20 Monate nach dem Treffen zwischen Tito und Willy Brandt auf Brioni wurde die Kreditvereinbarung schließlich unterzeichnet. Daß es trotz aller Widrigkeiten überhaupt noch dazu kam, war zwei Fakten geschuldet: Belgrad fürchtete, ..“die Bereitschaft der Bonner Regierung das Problem der Kriegsentschädigung zu lösen könnte bei weiterer Verzögerung drastisch sinken“. Noch überzeugender – weil der politischen Kultur des Landes nicht fremd – war vermutlich der Brief des Außenministers an die jugoslawische Regierung, daß Brandt selbst darauf hingewiesen haben, daß die Vertragsbedingungen nur eine nicht ernstzunehmende Floskel darstellten. „Mit der Begründung, große Probleme bei der parlamentarischen Prozedur zu haben, versichere die Regierung der BRD, daß man nur „pro-forma“ die Festlegung auf Projekte fordere, sich um die tatsächliche Verwendung des Kredits aber nicht kümmern werde. In diesem Sinn habe der SPD-Spitzenfunktionär Hans-Jürgen Wischnewski im Auftrag von Kanzler Brandt auch eine entsprechende Vereinbarung mit dem jugoslawischen Premier getroffen. Der Regierung der BRD seien also nur pro forma und aus Gründen der in der BRD üblichen gesetzlichen Prozedur Information über die Nutzung der Mittel zu geben. Tatsächlich werde damit der deutschen Seite keinerlei Ingerenz über die Verwendung der Gelder eingeräumt.“

Wenn sich 2 „elder statesmen“ über die Weltpolitik austauschen: Geschätzter Gesprächspartner Breshnew und Strauß, der Marktschreier

Der Kontakt zwischen Tito und Brandt riß trotz der mühsam realisierten Brioni-Vereinbarung nie ab.. Auch nach seinem Rücktritt als Bundeskanzler besuchte Brandt in seiner Funktion als SPD-Parteivorsitzender vom 23.6.75- 26.6.75 sowie als Präsident der Sozialistischen Internationale vom 10.-13.7.79 Jugoslawien.

Mittlerweile war die gegenseitige Vertrauensbasis zwischen den 2 „elder statesmen“ so gefestigt, daß sie ohne ideologische Barrieren weltpolitische Probleme diskutierten. Brandt wies dabei immer gerne auf seine hervorragenden Kontakte zu Breshnew hin, mit dem er leicht reden könne (er sei direkt, offen und mittelbar). 1975 hatte Breshnew sogar ein Flugzeug nach Belgrad senden wollen, um Brandt so schnell wie möglich in Moskau zu sehen. Als im Juli 1979 Tito über die mangelnde Initiative in Deutschland gegen Exil-Kroaten klagte, welche Jugoslawien offiziell als Terroristen einstufte, wird Brandt mit der Antwort zitiert: Die Ineffizienz der deutschen Polizei, eine starke „Rechte“ in den Sicherheitsorganen sowie die antijugoslawische Haltung der Kirche seien die Gründe dafür. Selbst die deutsche Innenpolitik interessierte Tito im Detail. Auf die Frage, ob von Strauß innenpolitische Gefahr für die Bundesrepublik ausgehe, lieferte Brandt – zum protokollarisch festgehaltenen höchsten Amüsement Titos – ein eindrucksvolles Psychogramm des bayrischen Politikers: „Ja, er sei  ein gefährlicher Demagoge – aber kein Nationalist, sondern ein Ellenbogenmensch und Marktschreier. Er sei nicht ungefährlich, nachdem er eine Sprache benutze die den untersten Schichten entspreche. Doch Strauß sei auch sein eigener Feind, denn er zerstöre mit seinem Hintern was er mit den Händen aufgebaut habe.“

Die Rückzahlung des 1-Milliarden-Kredits wurde nach dem Zerfall Jugoslawiens auf die neu entstandenen Staaten aufgeteilt und wird – nach teilweiser Reprogrammierung – von den meisten immer noch in Raten getilgt.

Standard
Politik, Serbien

Vojislav Seselj: Der Albtraum des Kriegstribunals für das ehem.Jugoslawien ist nach 12 Jahren Untersuchungshaft zurück in Serbien

 

Am Ende trug er doch den Sieg davon: Nach 12 Jahren Untersuchungshaft im Gefängnis Scheveningen/Holland wird der serbische Ultra-Nationalist Vojislav Seselj, 60, wieder als „formal unschuldig“ nach Serbien zurückkehren.

12 Jahre war es dem Haager Kriegstribunal – trotz angeblich unwiderlegbarer Beweise für dessen Kriegsverbrechen zwischen 1991 und 1993 an Kroaten und Muslimen sowie in der serbischen Provinz Vojvodina –  nicht gelungen, ein Urteil über den Mann zu sprechen, der stolz verkündete, er sei bereit für seine Ideologie eines Großserbiens zu sterben.

Daß diese „letzte Stunde“ – nicht aus patriotischen Zwängen sondern eines schweren Krebsleidens geschuldet –  dann auch ausgerechnet in den Zellen des Scheveninger Gefängnisses stattfinden würde – das wollten die Richter des Kriegstribunals für das ehemalige Jugoslawien dann doch nicht riskieren. Noch sitzt der Schock tief, als 2006 nach 5-jähriger Prozeßdauer Serbiens Ex-Präsident Slobodan Milosevic in Untersuchungshaft starb und sich wenige Tage zuvor der kroatische Serbenführer Milan Babic in seiner Zelle erhängt hatte.  Nur ganze 12 Stunden dauerte es deshalb , bis   die ad-hock –Freilassung des Angeklagten beschlossen wurde, ……“um das Szenario des schlimmsten Falls zu vermeiden.“  Selbst die zunächst geforderten Auflagen wie etwa Hausarrest in Belgrad oder das Verbot politischer Betätigung wurden fluggs verworfen, als Seselj – der sich im Februar 2003 freiwillig dem Tribunal gestellt hatte – unter diesen Bedingungen auf seine Entlassung verzichten wollte. Lediglich der Kontakt zu Zeugen bzw. deren Bedrohung seien ihm nun untersagt, melden serbische Medien.

Eine Blamage für das Tribunal

Unabhängig von Schuld- oder Freispruch: Eine Blamage ist es allemal: Und dies  nicht nur hinsichtlich von Hunderttausenden von Euros, welche das Tribunal während der vergangenen 12 Jahre dem Angeklagten für seine  Verteidigung zur Verfügung stellte. Auch erbitterte Gegner des Ultra-Nationalisten beschuldigen das UN-Kriegstribunal seit langem, es habe bei diesem Marathon-Verfahren jeglichen Realitätsbezug zur juristischen Praxis verloren. Daß die Vertreter des „Hohen Gerichts“ das Verfahren unbeirrt fortsetzten ( trotz Warnung einiger Richter, hier stehe derAufwand in keinem Verhältnis mehr zum Erfolg) könnte schließlich auch mit  gekränkter Eitelkeit zu tun haben. Denn die an Ehrerbietung und Respekt gewöhnten Robenträger erfuhren im Laufe des Prozesses zweifellos allerhand ungewohnte Demütigung. Sie mußten nicht nur vulgäre Beschimpfungen des Angeklagten erdulden, sondern tatenlos zusehen, wie dieser mit juristischen Finessen auch nahezu alle seiner Forderungen durchsetzte. Über 200 000 Prozeßseiten wollte er nicht auf dem Computer lesen sondern ausgedruckt, und dies in kyrillischer Schrift und serbischer Sprache und nicht wie sonst üblich in kroatisch-bosnisch-serbischer Sprachkombination. 2006  trat er 4  Wochen in Hungerstreik, um die Absetzung seiner Pflichtverteidiger und sein eigenes Büro im Gefängnis zu erreichen. 2009  wurde er vom Tribunal zu 15 Monaten Haft verurteilt, weil er die Namen von 3 geschützten Zeugen preisgegeben hatte und Ende August 2013 machte er mit seiner Forderung der Suspendierung des dänischen Richters Frederik Harhoff wegen Voreingenommenheit eine Urteilssprechung unmöglich. Das Gericht hatte seiner Forderung nachgeben müssen, nachdem Harhoff öffentlich mehrere Freisprüche (2 davon gegen Serben)  als vermeintliches Diktat Washingtons gerügt hatte. Ein neuer Richter indes mußte sich langwierig in den bisherigen Prozeßverlauf  einarbeiten.

Wer ist Vojislav Seselj?

Doch wer ist der Mann, der von 1982 bis 2003 rund um die Uhr vom jugoslawischen Geheimdienst als „Sicherheitsrisiko und Dissident“  überwacht wurde und deshalb von serbischen Intellektuellen mit Nelson Mandela  verglichen wurde? Der Volkstribun, der  in den 90-er Jahren allein mit seiner Haß-Rhetorik Hunderttausende Serben zu fanatischen Nationalisten aufhetzte und  bei den serbischen Präsidentenwahlen 2002 fast Präsident geworden wäre? Einer, dem Freund wie Feind den Ruf eines genialen Rhetorikers und Poltikers nicht abstreiten können, der sich Milosevic verbündete – um ihn nach dessen Unterschrift unter das Friedensabkommen von Dayton als Verräter und roten Tyrannen zu verfluchen?

 Vom gefeierten Genie zum Staatsfeind

Ein Julitag im Jahr 1984. Während im restlichen Jugoslawien, 4 Jahre nach Titos Tod, erste Anzeichen von Liberalisierung und Demokratie die kommunistische Doktrin aufweichen, herrscht in Bosnien ein kompromißloser Hardliner der die kleine Republik mit 3,5 Millionen Einwohner zur letzten Bastion eines totalitären Regimes macht: Branko Mikulic. Nirgendwo auf dem Balkanland gab es so viele Straßen mit den Warnschildern „für Ausländer Halten verboten“, nirgendwo war der Geheimdienst allgegenwärtiger, die Überwachung der Bevölkerung brutaler, die Bestrafung  Andersdenkender rigoroser als in Bosnien-Herzegowina. Einer der Verfolgten war der damals 29-jährige Vojislav Seselj, der mit 25 Jahren promoviert hatte, der Kommunistischen Partei seit seinem 17. Lebensjahr angehörte und dem als  Doktor der Wissenschaften und damit jüngstem Doktor Jugoslawiens eine steile politische Karriere bevorstand.  Zumindest bis zu dem Tag als er nachwies, daß die Doktorarbeit des ranghohen Kommunisten Brane Miljusev, einem Protege des Präsidenten, ein Plagiat war.

Buchstäblich über Nacht wurde so aus dem gefeierten Genie  eine Gefahr für die Sicherheit des Landes, dessen soziale Existenz es zu vernichten galt.

4000  Seiten Dossiers aus den Jahren 1982 bis 2003  – mittlerweile von Seselj in 4 Büchern veröffentlicht – lesen sich wie ein Tatort-Krimi. Die Informanten waren nicht nur Geheimdienstmitarbeiter sondern Freunde, Kollegen – und Nachbarn.

 Das Apfelkuchen-Rezept  

Das Hochhaus in der Obala 27 in Sarajewo war nicht leicht zu finden – trotz Seseljs Beschreibung bei unserem Telefonat. Einzig die zahlreichen dunklen Limousinen rund um das Gebäude mit ihren zeitungslesenden oder bewußt gelangweilt dreinblickenden Prototypen sozialistischer Spitzel sowie die ungewöhnlich häufig patroillierenden Polizeifahrzeuge führten mich schließlich doch zum richtigen Eingang.  Die junge Frau, die die Türe öffnete, packte mich am Arm, schob mich einen Meter in den Gang zurück und flüsterte hastig: Die 2 alten Frauen im Wohnzimmer sind Provokateurinnen des Geheimdienstes. Sie wohnen im Haus und kamen unangemeldet zum Kaffee, weil ihr Termin mit meinem Mann natürlich abgehört wurde. Ich habe sie jetzt als Freundin aus Polen angekündigt.

Was keine gute Idee war, wie sich schnell herausstellte.

Die beiden Frauen, die in ihrer Fülle nahezu die gesamte Breite der Couch einnahmen, beäugten mich mißtrauisch. Vesna Seselj, Seseljs erste Ehefrau,  hatte sich in die Küche zurückgezogen um Kaffee zu kochen, als mich eine der beiden „Volontär-Agentinnen“ fragte: Gibt es den großen Metzger noch im Zentrum von Warschau? Zugegeben, ich war noch nie in Warschau. Also konnte ich nur die Flucht nach vorne antreten: Es gibt dort mittlerweile mehrere.

Und der Friseur?

Ich fragte mich, ob sie mich bewußt auf eine falsche Fährte lockten, um ihren Auftraggebern später stolz die Enttarnung einer vermutlich westlichen Agentin mitzuteilen.

Es fehlte nur noch, daß sie mich aufforderten, polnisch zu sprechen (bis dahin fand die Konversation in serbisch statt). Nach einer gefühlten Ewigkeit kehrte Frau Seselj mit Kaffee und Apfelkuchen zurück. Meine Ablehnung gegenüber Kuchen ignorierte sie liebenswürdig. Wollen Sie das Rezept?

Um Himmelswillen, nein. Ich backe keine Kuchen.

Doch, sagte sie energisch und kehrte kurz darauf mit einem handgeschriebenen Zettel aus der Küche zurück: Ein Rezept meiner Mutter.

Ich warf einen kurzen Blick darauf: Vojislav wartet auf sie in der Bascarsija, vor der Islamischen Gemeinde.

Schüchtern, bescheiden – aber mit rotem Alarmknopf

Journalisten, die Seselj interviewten, mußten nicht nur Konspiration beim Treffen mit dem Gejagten beweisen, sondern ihren „Kassetten-Schatz“ anschließend umgehend außer Landes bringen. Wer auf den nächsten Morgen hoffte, dem wurden die Bänder entweder noch im Hotelzimmer „geklaut“ oder unter Drohungen der Polizei konfisziert.

Wir hatten es geschafft, mein Auto unbemerkt in eine Waldlichtung zu lenken. Der blonde, fast hühnenhafte Mann neben mir,  zu diesem Zeitpunkt der meist verfolgte Intellektuelle des Landes, wirkte fast schüchtern – doch keineswegs ängstlich.  Er ahnte bereits, daß ihm nur noch wenige Tage blieben bis zu einer Verurteilung und einer langjährigen Haftstrafe mit den für politische Dissidenten üblichen Schikanen. Ruhig und gelassen beantwortete er meine  Fragen – bis zu dem Augenblick, als  ich Tito – Jugoslawiens 1980 verstorbener Staatschef – erwähnte. Plötzlich schwoll seine Stimme an:  Dieser Satan, ein sowjetischer Spion, der nur ein Ziel hatte – nämlich die Serben zu vernichten! Fast waren wir wieder auf Erzähl-Pegel angelangt, als ich offenbar den zweiten roten Psycho-Knopf drückte: Serbiens Grenzen. Was folgte, war ein fanatischer historischer Vortrag über die tatsächlichen Grenzen Serbiens, die einer Verschwörung der Weltmächte unter Mithilfe Titos zum Opfer fielen: Dubrovnik, Dalmatien, ein großer Teil Bosniens, der Herzegowina und natürlich das Kosovo seien Teil des Serbenreichs, das es wieder herzustellen gelte.

Vom Almosenempfänger zum wohlhabenden Vojvoden

2 Jahre später sahen wir uns wieder –diesmal in Belgrad. Seseljs ursprüngliche Haftstrafe von 8 Jahren wegen Anarcho-Liberalismus und Nationalismus war auf 22 Monate verkürzt worden. Die politische Flucht nach Belgrad  entzog ihn zwar der Medienhetze Sarajewos, als arbeitsloser Intellektueller war er indes auf Spenden und Unterstützung wohlwollender serbischer Schriftsteller und Mäzene angewiesen.

Für Milosevic, damals noch Vorsitzender der serbischen Kommunisten und bereits ab 1989 Präsident des serbischen Republikspräsidiums , war Seseljs offener Ruf nach einem Großserbien ein willkommener Testlauf für die Stimmung in der Bevölkerung ohne sich selbst gegenüber dem Ausland als  Nationalist zu diskreditieren. Auch Milosevic ließ seinen „Lieblings-Oppositionellen“, wie er Seselj später einmal nannte, rund um die Uhr observieren – ohne ihn jedoch formal anzugreifen oder bei seinen Aktivitäten zu stören. Seselj dankte es ihm mit politischer Loyalität und berechnendem Kalkül:  Die Opposition ist zu schwach, um Milosevic zu stürzen, begründete er den Schulterschluß mit Milosevics Politik,  …“dann kann die Alternative für eine politische Machtposition nur sein, die Ziele mit ihm zu erreichen..“

Und die hatte er  längst öffentlich manifestiert. Nach einem USA-Aufenenthalt 1989 war der Almosenempfänger Seselj als gefeierter „Vojvode Seselj“ zurückgekehrt, ausgestattet mit enormen finanziellen Mitteln, welche die serbische Diaspora für den neuen Regenten der Tschetniks (einer serbischen Widerstandsbewegung im 2. Weltkrieg, deren Mitglieder nach Kriegsende von Titos Partisanen verfolgt und ermordet wurden) gesammelt hatte.  Der bis dahin nur unter Exil-Serben legendäre Tschetnik-Führer Momcilo Djujic hatte den Großserben Seselj zum neuen Vojvoden gekürt ( ihm 1998 diesen Titel nach Seseljs Koalition mit Milosevic allerdings wieder entzogen).

Der Handlanger Milosevics

Es war der Beginn einer Karriere, die mit  Gründung der Serbischen Radikalen Partei im Februar 1991 die serbische Agressions-Politik der 90-er Jahre maßgeblich mitbestimmte. Sätze wie „ich habe noch keinen anständigen Kroaten getroffen“, „kein Ustascha darf lebend Vukovar verlassen“ oder die Drohung einer Bombardierung Zagrebs, Londons, oder des „Satans-Nestes“ Vatikan steigerten Seseljs  Popularität in Belgrad ebenso wie bei den revoltierenden Serben Kroatiens. Daß die rhetorischen Schlachtrufe zwar die rund 10 000 Freiwilligen seiner Freischärlertruppe zu Plünderungen, Vertreibungen und möglicherweise auch Morden motivierten, mag außer Zweifel stehen.

Als Handlanger Milosevics stürzte der Radikalenführer 1992 mit einem Mißtrauensvotum  den damaligen Premier Milan Panic, der sich offen gegen Milosevic gestellt hatte. Im  Juni 1993 erreichte er  die die Absetzung des jugoslawischen Präsidenten und Schriftstellers Dobrica Cosic, der Milosevic ebenfalls zu unbequem geworden war. Der „Vater der Nation“  hatte zu offen mit der Opposition sympathisiert.

Seselj, zu dessen Anhängern mittlerweile auch Teile von Polizei und Geheimdienst zählten, war längst zum gefürchteten Machtfaktor im Land aufgestiegen, dessen „Enthüllungen“ – meist auf Insiderinformationen Krimineller oder unzufriedener Geheimdienstler beruhend – Politiker aller coleur an den Pranger lieferte. Als unermüdlicher Meister der Selbstinszenierung schien ihm jeder Skandal willkommen: Prügeleien im Parlament, Spuck-Attacken auf Parlamentarier, das Anketten an Gehsteige oder das Ziehen einer Pistole vor öffentlichen Kameras. Warum das alles, fragte ich ihn einmal? Er lachte, als stelle man ihn für ein paar Lausbubenstreiche zur Rede, als bereite es ihm höllisches Vergnügen die Hilflosigkeit des Staates und seiner privilegierten Nomenklatur gegenüber seinen Eskapaden zu demonstrieren.   Wenn ich keine radikalen Thesen vertrete und nicht für Dauer-Skandale sorge, verliere ich meine Wähler, sagte er.

1993 zog allerdings auch Schutzpatron Milosevic – vermutlich unter Druck des Auslands – die Reißleine und ordnete eine Untersuchung über die Rolle Seseljs bei Kriegsverbrechen in Kroatien und Bosnien an.  Verurteilt wurde er allerdings nur 3 x wegen Störung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit.  1994 schickte ihn ein Belgrader Gericht sogar für 8 Monate hinter Gitter. Seselj sei ein Fall für die Irrenanstalt, kein Serbe sondern ein Türke und schließlich auch kein richtiger Mann, goß Milosevics Ehefrau Mirjana noch Öl ins Feuer.  Seseljs anschließender Rachefeldzug gegen Milosevic (ein Verräter, der die serbischen Gebiete in Kroatien und Bosnien nicht verteidigt habe) dauerte nur kurz. Im März 1998 koalierten die Radikalen mit Milosevics Sozialisten, 1999 zogen sie sogar mit  5 Ministern ins Bundesparlament ein.

Es wird viel Blut in Serbien fließen..

Zum letztenmal trafen wir uns im Februar 2003, nur wenige Tage vor seiner Abreise nach Den Haag,  in Seseljs Parteisitz in Zemun, einem Vorort Belgrads.   Sofort nach Bekanntgabe der Anklage hatte Seselj ohne zu zögern seine Koffer gepackt,  …“dies sei eine Frage der Ehre.“ Er habe niemals einen Menschen getötet noch sei er bei Liquidierungen anwesend gewesen.

Wirklich – nur eine Frage des edlen Charakters? Oder fühlte er sich im entfernten Holland angesichts der unübersehbaren politischen Situation in Serbien mit nahezu täglichen Auftragsmorden und des zu erahnenden Attentats auf Premier Zoran Djindjic (2 vorangegangene Attentatsversuche blieben bezeichnenderweise ungeahndet) sicherer?    Es wird schon bald viel Blut in Serbien fließen, prophezeite er und beschuldigte die Regierung, schon seit Frühjahr 2001 seine Liquidierung zu planen.  Seinen Kopf habe er bisher nur retten können, indem er ständig irgendwelche Zwischenfälle im Parlament provozierte. Da sei denen für Attentate kein Freiraum geblieben. Ich bin gefährlich,  ich weiß zuviel, fügte er an.

Eines wußte er lt.Aussagen eines  Kronzeugen im Djindjic-Prozeß sicher: Daß die Ermordung des serbischen Premier kurz bevorstand.

Vielleicht ahnte er auch, daß der zwangsweise folgende Ausnahmezustand mit Tausenden von Verhafteten und dem Tod etlicher Krimineller, die zuviel über die Beziehungen zwischen Mafia und Politikern wußten, sein Leben nicht minder bedrohte.

Ein Obstkorb von Milosevic

12 Jahre sind seither vergangen. Mag am Anfang seiner Verteidigung noch die Hoffnung gestanden haben, er werde gemeinsam mit Milosevic die Welt vom Befreiungskampf der Serben überzeugen (Milosevic  hatte ihm am Tag seiner Ankunft in Scheveningen einen Obstkorb zur Erfrischung von der Reise in die Zelle stellen lassen) verfiel er schnell wieder in die bekannten Muster zeitraubender Provokationen. Das Tribunal fand darauf keine Antwort.

Seseljs einst engsten Parteifreunde, Tomislav Nikolic und Aleksandar Vucic, sagten  sich nach anfänglich vehementer Verteidigung ihres Chefs (Nikolic: Seselj würde in Haag sterben, um seine und die Würde Serbiens zu verteidigen) von ihm im Herbst 2008 los und gründeten ihre eigene  Serbische Fortschrittspartei. Der Realitätsverlust Seseljs, der aus seiner Haager Zelle weiter die pro-russische und antiwestliche Politik seiner Partei bestimmte und sich resistent gegen alle Ratschläge seiner Parteifreunde zeigte, hatte nicht nur Nikolic und Vucic vergrault. Auch die meisten Wähler konnten der Polter- und Rachepolitik nichts mehr abgewinnen. Mittlerweile sind die Radikalen nicht mal mehr im Parlament vertreten.

Und dennoch wirkt die demonstrierte Gelassenheit von Präsident Nikolic und Premier Vucic, die Seselj nach seiner Rückkehr „schnelle Erholung und beste Gesundheit“ wünschen, wenig glaubwürdig. Seseljs Ankündigung, er werde sich rächen, klingt da realistischer. Tägliche Schlagzeilen mit ausufernden Verbal-Attacken sind vermutlich für die nächsten Wochen – sofern es der Gesundheitszustand des Heimkehrers zuläßt – vorprogrammiert. Und die in Depression verfallenen Radikalen-Anhänger werden sich wohl für einige Wochen wieder aus der Asche vergangenen Ruhms erheben.

Eines wird allerdings auch Seselj erkennen müssen: Serbien hat sich in 12 Jahren verändert. Es ist, so vermute ich mal,  der Märtyrer müde und  sucht eine bessere Zukunft, in welcher man sich nicht von Gras ernähren muß.  Letzteres hatte nämlich Seselj seinen Landsleuten angesichts der vom Ausland verhängten Sanktionen während des Bosnienkriegs empfohlen.

 

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