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Aufgelesen

Geht’s noch peinlicher?
Wegen Befangenheit wurde der dänische Richter Frederik Harhoff zunächst aus dem Prozess
vor dem Haager Kriegstribunal gegen den Freischärlerführer Vojislav Seselj abgezogen. Er hatte nämlich die merkwürdigen Freispruch-Urteile einiger Richterkollegen heftig kritisiert – was diese aufs heftigste verärgerte. Damit stellte sich allerdings die Frage, wie man das für Ende Oktober geplante Urteil über Seselj sprechen will, nachdem Harhoff einer der drei rechtsprechenden Richter war und seit 2003 für den Seselj-Prozess mit zuständig war. Um das ganze ins absurdum zu führen wollte man zunächst ausgerechnet den Angeklagten um Rat fragen: Ob er einverstanden wäre, dass das Urteil statt von 3 von nur 2 Richtern verkündet werde.
Die Alternative wäre, einen neuen 3. Richter zu benennen, der jedoch vermutlich Monate brauchen würde, um sich in die Prozessakten einzuarbeiten, was möglicherweise sogar zu einer Neuauflage des Verfahrens führen könnte.
Mittlerweile hat man die Suspendierung Harhoffs vorläufig rückgängig gemacht. Zunächst soll der genaue Inhalt seines Briefes an zahlreiche öffentliche Personen und „Freunde“ veröffentlicht werden und in welchem er kritisiert, dass bis Herbst 2012 Praxis der Rechtssprechung im Tribunal war, Militärkommandanten auch für die Straftaten verantwortlich zu machen, die ihnen Untergebene verübten. Dass man jetzt davon abrückte, schrieb Harhoff dabei dem politischen Druck aus den USA und Israel zu.

Also – so ganz abwegig ist das wohl nicht…..

Vieles, was in den letzten Wochen und Monaten passierte, hatte einen bitteren Nachgeschmack.
Urteile waren kaum noch nachvollziehbar und für die Angeklagten scheint es längst ein Lotteriespiel zu sein, ob Freispruch oder Lebenslänglich auf sie wartet – je nachdem, wie
der entsprechende Richter Gesetze auslegt und Beweise einordnet.

Zu 24 Jahren war der kroatische General Ante Gotovina im April 2011 wegen Kriegsverbrechen verurteilt worden. Er war einer der maßgeblichen Kommandanten bei der Operation „Sturm“, als 1995 kroatische Truppen die von Serben besetzte Krajina in Kroatien zurückeroberten und über 100 000 Serben vertrieben wurden.
Im November 2012 sprach die Berufungskammer des Tribunals Gotovina überraschend frei. Militärische Experten als Zeugen , überwiegend aus den USA, spielten eine nicht unwesentliche Rolle bei der Neueinschätzung des Gerichts.

Nicht minder überrascht waren selbst die Serben, als der ehemalige Generalstabschef der Armee Jugoslawiens, Momcilo Perisic, am 28.Februar 2013 von einem Berufungsgericht freigesprochen wurde. Im September 2011 hatten die Richter noch entschieden, Perisic müsse für 27 Jahre hinter Gitter – wegen Hilfe und Unterstützung für Artillerieangriffe auf Sarajewo von 1993-1995 sowie die Tötung von 7000 Bosniern im Juli 1995. Jetzt befand der Richter, daß Perisic nicht wissen mußte, daß diese Hilfen zu Verbrechen führten.
Eine ziemlich zynische Absolution. Ohne Perisics Hilfe hätte der serbisch-bosnische General Ratko Mladic, der sich vor dem Tribunal u.a. wegen der Ermordung von 7000 Muslimen von Srebrenica verantworten muß, seine Kriegsmaschinerie in Bosnien niemals aufrecht erhalten können. Militärausrüstung, Freiwillige Soldaten, Ersatzteile,
Treibstoff – nachts rollten Schlepper und Lkw in Kolonnen über die von Serben kontrollierte serbisch/bosnische Grenze, damit die Brüder dort soviel bosnisches Territorium wie möglich für die serbische Bevölkerung Bosniens erobern konnten. Ein Nachschub-Stopp hätte die Serben lange vor dem tatsächlichen Kriegsende an den Verhandlungstisch gezwungen.
Natürlich wußten Perisic und Milosevic von der Brutalität, mit der General Ratko Mladic seine Säuberungsaktionen durchführte. Abgehörte Telefongespräche belegen es..

Ein neuerliches, kaum nachvollziehbares Urteil hat schliesslich zu einer Revolte innerhalb des Tribunals geführt. Der dänische Richter
Frederik Harhoff , einer der 18 Richter des Tribunals, beschuldigte lt.. Medienberichten daraufhin den Gerichtspräsidenten Theodor Meron, sich politischen Interessen gebeugt zu haben und Agent einer internationalen Verschwörung zu sein.
Anlaß für Harhoffs Empörung war der Freispruch für Serbiens ehemaligen Geheimdienstchef Jovica Stanisic und den ebenfalls hochrangigen Geheimdienstmann Franko Simatovic Ende Mai 2013.
Stanisic war nicht nur die rechte Hand Milosevics. Er ließ auch niemals Zweifel aufkommen, daß er die gesamte
serbische Führung Bosniens mit seinen Drohungen gefügig machen könne. Er war es auch, unter dessen Regie die berüchtigten serbischen Freischärlerbanden ausgebildet, an die bosnische Front geschickt wurden und dort mordeten und plünderten.
Unter solcher Scheuklappen-Rechtsbeugung, fürchte ich, wäre vermutlich auch Milosevic unschuldig gesprochen worden.

Doch zugegeben, es gibt in der Tat etwas, das alle diese merkwürdigen Freisprüche verbindet und Richter Harhoff inspiriert
haben mag:
Die Rückeroberung der Krajina in Kroatien 1995 war von Washington nicht nur abgesegnet worden,
die USA hatten auch umfangreichste logistische Hilfe bei der Aktion geleistet. Zuvor hatten ehemalige Generäle der MPRI, einer
Vereinigung hochrangiger Ex-Militärs der US-Armee, monatelang kroatische Soldaten trainiert, während des Angriffs
der kroatischen Armee halfen sie sowohl logistisch als auch aus der Luft. General Gotovina war vermutlich nicht nur Zagrebs Kommando unterstellt sondern auch den Instruktionen der US-Strategen.
Und Präsident Clinton äußerte sich im nachhinein, dass die Rückeroberung der Krajina und die damit verbundene erste schmerzhafte militärische Niederlage der Serben einen Wendepunkt zum Frieden in Bosnien darstellten.

General Momcilo Perisic war im November 1998 von Milosevic als Generalstabschef entlassen worden, angeblich wegen geheimer Kontakte zu Nato und CIA.
2002 wurde er wegen Spionage verhaftet, als er dem amerikanischen Diplomaten David
Neighbour in einem Restaurant geheime Militärdokumente überließ. Nicht nur das Treffen selbst, auch die Gespräche
wurden vom serbischen Geheimdienst aufgezeichnet und der Regierung in einer eiligst einberufenen Sitzung
vorgespielt.Die meisten serbischen Medien stimmten überein, daß sich Perisic tatsächlich als Spion hatte anwerben
lassen. 2005 wurde das Verfahren gegen ihn vorübergehend wegen seines Prozesses vor dem Kriegstribunal
gestoppt.. Ob es jetzt wieder aufgenommen wird, sei dahingestellt. Ich vermute, Washington wird es verhindern.

Auch der freigesprochene Geheimdienstchef Stanisic war 1998 von Milosevic entlassen worden. Lt. Los Angeles Times
soll auch Stanisic seit 1992 Informationen an die CIA weitergegeben haben. Manche Medien spekulierten sogar, er sei dabei auch Kontaktmann zwischen Milosevic und den USA gewesen – was den USA im nachhinein wohl eher peinlich wäre.
Während des Irak-Kriegs hatte sich Stanisic ebenfalls verdient gemacht, als er den Amerikanern wichtige
Angaben über die unterirdischen Bunker und Bauwerke zur Verfügung stellte, die serbische Baufirmen für Saddam Hussein
gebaut hatten. Also Verdienste, die verständlich machen würden, weshalb da eine Großmacht sich an der Rechtssprechung des Tribunals nicht nur mit Empfehlungen beteiligte sondern druchvoll nachhalf.

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