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Recht oder Politik beim Haager Kriegstribunal?

So hatte sich der Präsident des Internationalen Kriegstribunals für das ehemalige Jugoslawien, Theodor Meron, seinen Auftritt vergangene Woche in Sarajewo kaum vorgestellt: Statt Huldigung und Dank prasselten Proteste, Provokationen und Vorwürfe auf den 83-jährigen nieder.
Anlaß des Besuchs in der bosnischen Hauptstadt war das 20-jährige Bestehen des Tribunals gewesen. Doch als der gebürtige Pole mit US-Staatsbürgerschaft die Feier zu einem Manifest der Selbstgerechtigkeit nutzte, war der Unmut den 200 Gästen buchstäblich ins Gesicht geschrieben. Zahlreiche Jugendliche verließen protestierend den Saal und Angehörige der Opfer drehten dem Redner demonstrativ den Rücken zu – was diesen allerdings nicht daran hinderte, seine Jubelrede unbeirrt fortzusetzen. Alle 161 Angeklagten seien gefunden und vor Gericht gestellt worden – eine 100 %-ige Erfolgsbilanz also, rühmte er sich stolz. Außerdem sei man nicht da, um einzelne Bevölkerungsgruppen zufriedenzustellen sondern um Recht zu sprechen.
Man hatte leisere Töne erwartet, Eingeständnisse von Fehlern der Vergangenheit, von endlosen Verfahren mit oft unglaubwürdigen Zeugen deren einzige Mission war, im Heimatland nicht als Verräter gebrandmarkt zu werden, von teuren und unprofessionellen Recherchen, deals mit den Angeklagten wenn diese als Belastungszeugen in anderen Verfahren aussagten. Vor allem hatte man aber eine Diskussion über Urteile erhofft, die in den vergangenen Monaten nicht nur in Bosnien Entsetzen hervorriefen.
Urteile die, wie es der kroatische Menschenrechtler Zoran Pusic ausdrückt, ..“eine Schande für jedes Dorfgericht wären.“
Mehrere Angeklagte, in erster Instanz wegen Kriegsverbrechen zu hohen Freiheitsstrafen verurteilt, waren im Revisionsverfahren freigesprochen worden.
Der Grund hierfür sei in der Beeinflussung des Tribunals durch zahlreiche internationale Spieler zu suchen, kommentierte der hochrangige bosnische Politiker Bakir Izetbegovic die neuen „Kriterien“ des Gerichts.
Wird Recht mittlerweile von der Politik gesprochen?
Bereits im Juni diesen Jahres hatte der dänische Richter Frederik Harhoff für einen Eklat gesorgt, als er in einem Schreiben an 56 Kollegen und Mitarbeiter des Gerichts den ICTY-Präsidenten beschuldigte, dieser habe durch Druck auf andere Richter Freisprüche erzwungen. Die Hintermänner für die nicht nachvollziehbaren Urteile , so läßt sich aus Harhoffs Protest schließen, seien vor allem in Washington zu suchen. Mittlerweile wurde der Däne wegen seiner öffentlichen Interna-Schelte von den Verfahren des Tribunals suspendiert.
Doch der Zwist innerhalb des Tribunals ist nicht mehr zu übertünchen. So fehlte vergangene Woche in Sarajewo auch demonstrativ der Hauptankläger des Tribunals, der Belgier Serge Brammertz. Er habe sich geweigert, neben Meron aufzutreten, schreibt die stets gut informierte ehemalige Sprecherin des Tribunals, Florence Hartmann, auf ihrer facebook-Seite.

Was also ist dran an den Vorwürfen, die USA übten (neben anderen Staaten) Druck auf die Richter des Tribunals aus.?
Die ehemalige Chefanklägerin des Tribunals, Carla del Ponte, hatte nie einen Hehl daraus gemacht, daß ihre Ermittlungen konstant von den USA, Paris und London behindert wurden.
Videoaufnahmen, aufgezeichnete Gespräche und Dokumente seien mit der Begründung zurückgehalten worden, es handle sich um vertrauliche Daten, die aus Gründen der Staatssicherheit nicht herausgegeben werden dürften. Erhielt sie dann doch einige Schriftstücke, so seien ihr diese häufig manipuliert erschienen. Auch vor Drohungen sei man nicht zurückgeschreckt. Informanten, die dem Tribunal via ausländische Botschaften Dokumente zukommen lassen wollten, mußten feststellen, daß diese nie beim Tribunal ankamen. Die Botschaften gaben sie erst an ihre nationalen Regierungen weiter. Dort wurden sie gesäubert oder ganz zurückgehalten .
Die Liste der fragwürdigen Vertuschungsmanöver ausländischer Regierungen ist lange und legen den Verdacht nahe, daß einige Staaten enorme Probleme hätten, würde man ihre Involvierung in Kriegsereignisse oder Kontakte mit Politikern in dieser Zeit aufdecken.
Allerdings war auch die resolute ehemalige Chefanklägerin Del Ponte nicht völlig resistent gegenüber den Forderungen aus Washington. Als sie 2004 während des Milosevic-Prozeßs von den USA um die vertrauliche Liste der von diesem benannten Entlastungszeugen gebeten wurde, willigte sie entgegen den Regeln des Tribunals ein.

Doch sehen wir uns ein paar jener Richtersprüche an, die für viele nicht nachvollziehbar waren…

Der kroatische General Ante Gotovina, einer der maßgeblichen Kommandanten bei der Rückeroberung der von Serben besetzten Kajina 1995, war im April 2011 vom Tribunal zu 24 Jahren Haft verurteilt worden. Die Vertreibung von mehr als 100 000 Serben falle in seine Verantwortung, begründete das Gericht die drastische Freiheitsstrafe. Im November 2012 sprach die Berufungskammer des Tribunals den General überraschend frei.
Militärexperten, überwiegend aus den USA, hatten wesentlich nur Neueinschätzung des Gerichts beigetragen.
Kein Wunder. Die Rückeroberung der Krajina war von Washington nicht nur abgesegnet worden, die USA hatte auch entscheidende logistische Hilfe bei der Aktion geleistet. Zuvor hatten Generäle der MPRI, einer Vereinigung hochrangiger Ex-Militärs der US-Armee, monatelang kroatische Soldaten auf den geplanten Feldzug vorbereitet. Während des Angriffs halfen sie sowohl mit Instruktionen vom Boden wie auch durch Überwachung des Luftraums. General Gotovina war demnach nicht nur Zagrebs Kommando sondern auch jenen der US-Strategen unterstellt. Selbst der ehemalige US-Präsident Bill Clinton hatte sich später dahingehend geäußert, daß die Rückeroberung der Krajina und die damit verbundene erste schmerzliche militärische Niederlage der Serben einen Wendepunkt zum Frieden in Bosnien darstellten.
Wollte man also die Kommando-Verantwortung im Detail hinterfragen, wäre Washington wohl ebenfalls zur Rechenschaft zu ziehen. Ganz zu schweigen von der Peinlichkeit, daß Gotovina im Frust des Knastlebens eines Tages Details über die amerikanisch/kroatische Kooperation ausplaudern könnte.

Überrascht waren auch die Serben, als der ehemalige Generalstabschef der jugoslawischen Armee, General Momcilo Perisic, am 28.Februar 2013 als freier Mann nach Hause gehen durfte. 17 Monate vorher hatten ihn die Richter zu 27 Jahren Haft verurteilt – wegen Unterstützung der Artillerieangriffe auf Sarajewo von 1993-1995 sowie Hilfe bei der Ermordung von 7000 Bosniern im Juli 1995 bei der Einnahme der Schutzzone Srebrenica durch die bosnisch-serbische Armee.
Der Richter des Berufungsausschusses sah es anders. Perisic habe nicht zwangsläufig davon wissen müssen, daß diese Hilfen zu Verbrechen führten, argumentierte er.
Hier, mit Verlaub, trieft die Verharmlosung. Ohne Perisics Hilfe hätte der serbisch-bosnische General Ratko Mladic, der sich derzeit vor dem Tribunal verantwortet, seine Kriegsmaschinerie in Bosnien niemals aufrecht erhalten können. Transkripte, in welchen Mladic Belgrad droht, daß er bei Ausbleiben dieser Hilflen die eroberten Territorien nicht mehr verteidigen könne, belegen dies. Ein Nachschub-Stopp hätte die bosnischen Serben lange vor dem tatsächlichen Kriegsende an den Verhandlungstisch gezwungen.
Und es gibt kaum Zweifel, daß sowohl Perisic wie auch Milosevic von der Brutalität der serbischen Militärs in Bosnien Kenntnis hatten.
Umso überraschender war es, als Perisic 2002 in Belgrad unter dem Verdacht der Spionage festgenommen wurde. Er war inflagranti erwischt worden, wie er dem amerikanischen Diplomaten David Neighbour in einem Restaurant nahe Belgrad geheime Militärdokumente aushändigte. Der Geheimdienst, der ihn bereits länger observiert hatte, hatte nicht nur das Treffen gefilmt sondern auch die Gespräche aufgezeichnet. Eine eilends einberufene Sitzung der Staatsspitze kam einstimmig zum Schluß, daß der 1998 von Milosevic gefeuerte General für die USA spionierte. Das eingeleitete Strafverfahren wurde jedoch 2005 vorübergehend wegen seines Prozesses vor dem Kriegstribunal gestoppt. Daß sich Perisic bis zum Beginn des Prozesses in Den Haag überwiegend in Belgrad aufhalten konnte wird ebenso dem Einfluß Washingtons zugeschrieben wie die Tatsache, daß auch das Spionage-Verfahren in der Heimat nach seinem überraschendenFreispruch bislang nicht wieder aufgenommen wurde.

Der wohl unverständlichste Freispruch fand jedoch im Mai 2013 statt. Serbiens ehemaliger Geheimdienstchef Jovica Stanisic und der hochrangige Geheimdienstmann Franko Simatovic verließen nach 6-jährigem Prozess Den Haag als freie, unbescholtene Bürger.
Stanisic hatte als rechte Hand Milosevics niemals Zweifel aufkommen lassen, daß seine Macht bis tief in das politische Führungszentrum der bosnischen Serben reichte.
Unter Regie der beiden Geheimdienstler wurden u.a. auch die berüchtigten serbischen Freischärlerbanden ausgebildet, finanziert und an die bosnische Front geschickt, wo sie mordeten und plünderten.
Immer wieder hatte das Gericht Stanisic während des Prozesses ausgedehnte Heimaturlaube bewilligt – offiziell wegen seiner angeschlagenen Gesundheit. Tatsächlich hatte es insgesamt drei Unterstützungsschreiben an das Tribunal gegeben – von der CIA, aus Paris und London – welche die wochenlangen Aufenthalte in Belgrad „empfahlen“.
Die Staatsanwaltschaft war darüber wenig erbaut. Sie hatte Hinweise, daß der Angeklagte diese Visiten nutzte, um Zeugen zu beeinflussen.
Womit hatte sich der Drahtzieher hinter den Kulissen des bosnischen Kriegs verdient gemacht? Allein die Tatsache, daß er den USA während des Irak-Kriegs alle Pläne und Unterlagen über Saddam Husseins unterirdische Bunker, welche jugoslawische Firmen errichtet hatten, überließ, konnte es kaum gewesen sein.
Lt. Los Angeles Times hatte Stanisic seit 1992, also seit Ausbruch des Bosnienkriegs, die CIA mit Informationen versorgt – allerdings nicht als bezahlter Spion, wie der Autor des Artikels später berichtigte. Stanisic, der 1998 von Milosevic gefeuert wurde, habe lediglich über die Situation innerhalb der Regierung berichtet.

Doch weshalb konnten jene Staaten, die vermeintlich Informanten im engsten Zirkel um Milosevic platzieren konnten, weder die Tragödie von Srebrenica noch jene im Kosovo verhindern?
Hierzu eine Aussage von Florence Hartmann aus dem Jahr 2007, als sie Sprecherin des Tribunals war:
„Die westlichen Mächte hatten vorab Kenntnisse über die serbische Offensive auf Srebrenica. Sie wußten, daß die serbischen Kräfte ausgerüstet waren, um die Enklave einzunehmen. Also hätten sie für dieses Szenario eine entsprechende Gegenreaktion vorbereiten müssen. Aber sie taten es nicht. Sie hätten Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung nach dem Fall Srebrenicas treffen müssen. Sie taten es nicht. Sie mußten reagieren, als sie Kenntnis über den Beginn der Morde erhielten. Sie taten es nicht. Sie wußten vorab und erhielten fortlaufende Informationen darüber, daß Milosevic und seine Leute in die Ereignisse involviert waren. Aber sie reagierten nicht einmal mit diplomatischem Druck auf Belgrad, um die Morde zu verhindern. Und als 8000 Männer in wenigen Tagen getötet, die Massengräber durch Luftaufnahmen lokalisiert waren und die Zeugenaussagen der Überlebenden begannen, da saß die internationale Gemeinschaft am Friedenstisch mit Milosevic und gestand ihm das Territorium zu, auf welchem sich der Genozid ereignet hatte.“

Was bleibt, sind Fragen und wenig Hoffnung auf eine Antwort.

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